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Archiv-Artikel

Helden wie wir

In der dreiteiligen Doku „Der Kommunismus – Geschichte einer Illusion“ machen Männer Geschichte – und deuten sie auch gleich selbst. Der Zuschauer bleibt trotzdem ratlos (1. Teil, 23.45 Uhr, ARD)

VON STEFAN REINECKE

Der Realsozialismus ist im populären TV-Histotainment vergleichsweise unterbelichtet. Insofern ist es verdienstvoll, dass die ARD einen Panoramablick auf die Geschichte des europäischen Kommunismus wirft – zumal dieser Versuch des verstorbenen SPD-Intellektuellen Peter Glotz und von Christian Weisenborn weitgehend ohne Moralisieren auskommt. Dass die ARD diesen Dreiteiler im Nachtprogramm sendet, spricht allerdings auch wieder Bände.

„Die Geschichte einer Illusion“ bebildert die Epoche von der Oktoberrevolution 1917 bis zu Gorbatschows Rücktritt 1991. Es ist ein weiter Bogen, der vom Aufstand in Kronstadt 1921 bis zum Helsinki-Protokoll 1975 reicht, vom Spanischen Bürgerkrieg bis zum Eurokommunismus, von Mao bis zum Mauerfall.

Die Machart dieses ehrgeizigen Unternehmens konventionell zu nennen ist dabei eine Untertreibung. Historisches Bildmaterial, dazu ein erklärender Off-Kommentar, dann ein Experte, der das Ganze deutet. Die Bilder sind mit einem Soundteppich unterlegt, der wie Glutamat wirkt: Alles schmeckt nach irgendwas, aber sehr gleich. Diese Machart hat den Vorteil, beachtliche Mengen an Informationen effizient unterzubringen. Erkauft wird dieser trügerische Gewinn mit atemlosen Tempo und Ignoranz gegenüber den Bildern, die hier nur Material sind, Beglaubigungen für den Off-Text. Wir sehen Lenin, der 1918 agitiert, Stalin, der in den 30ern huldvoll den Applaus der Delegierten entgegennimmt. Einmal erzählt ein Ex-Gulag-Häftling, wie ein Mitgefangener im Lager erschossen wurde. Dazu sehen wir flackernde alte Bilder von Gefangenen im Schnee, bewacht von Bewaffneten. Diese Bilder sollen die Worte des Zeitzeugen illustrieren, sonst nichts. Sie haben kein eigenes Gewicht. Wir erfahren nicht, wann und wo diese Bilder entstanden. Wer hat sie aufgenommen? Die Gulag-Schergen? Mit welchem Interesse? Ein TV-Feature ist kein historisches Seminar. Aber von einem Film über Stalinismus, der selbst eine monströse Bilderfälschung war, darf man mehr Aufmerksamkeit für Bilder erwarten.

Ein paar Mal jedoch gibt dieses Feature den Bildern eigenen Raum. So sieht man einen Ausschnitt aus einer sowjetischen Wochenschau. Der deutsche Literat Lion Feuchtwanger preist, russisch untertitelt, Stalin als Leuchtfigur, die sich kein Dichter perfekter hätte ausdenken können. Diese Szene dokumentiert sinnfällig ein Motiv des 20. Jahrhunderts: die Unterwerfung der Kunst unter die Macht. Feuchtwanger trägt seine Ode mit leicht quietschender Stimme vor. So hat es sich also angehört.

Doch ansonsten vertrauen die Autoren des Films fest dem meinenden Wort. So steht und fällt das Unternehmen mit den Deutungshelden. Aufgeboten wird ein buntes Ensemble von Zeithistorikern und -zeugen, von Valentin Falin bis Michael Stürmer, von Norman Birnbaum bis zum klugen Egon Bahr. Mitunter ist das etwas viel Namedropping, aber manches ist auch erhellend. Zum Beispiel der Wissenschaftler Sergei Chruschtschow, Sohn des Sowjetführers Nikita, der mit respektlosem Ernst urteilt. „Reagan fand in den 80ern einen toten Bären und hat ihn erlegt“, sagt er. Das erklärt nicht den Untergang des sowjetischen Imperiums, stellt aber die neokonservative Illusion vom hart errungenen Sieg des Westens pointensicher auf die Füße. Der Publizist Timothy Garton Ash redet so blasiert und ironisch wie es sich für Briten gehört – und auch ziemlich scharfsinnig. Aus der Formel „Wandel durch Annäherung“, die Brandts Ostpolitik einleitete, liest er die stille Hoffnung der SPD auf einen reformierten Sozialismus im Osten heraus. Das habe Gorbatschow schon richtig missverstanden und ihn in seiner Illusion bekräftigt, dass der Realsozialismus reformierbar sei. Weltpolitik als stille Post.

Zum Glück ist dieser Kommentar-Chor recht polyphon. Der Kalte Krieg ist vorbei – nicht bei allen Solisten, aber im Gesamtklangbild. Allerdings hat dieses Verfahren Erkenntnisgrenzen. Augenfällig werden sie, wenn es gilt, das Ende der Sowjetunion zu ergründen. Das Wettrüsten, der Afghanistankrieg, die Solidarność-Offensive, Gorbatschows Planlosigkeit – alles kommt zur Sprache. Und doch wirkt dieses ansonsten meinungsfreudige Feature seltsam ratlos. Das mag an einer Blickverengung liegen. Die Geschichte des Kommunismus wird bei Glotz/Weisenborn von Männern gemacht. Gewiss werden auch Strukturen und Interessen erwähnt – doch eigentlich scheint der Aufstieg Stalins eben Stalin und das Ende des Realsozialismus Gorbatschow geschuldet. So war es nicht. Vor dem Wunder, dass sich eine waffenstarrende Supermacht friedlich selbst abwickelt, stehen die Autoren auch 15 Jahre danach sprachlos. Peter Glotz (der ziemlich hybrid als Autor, wissenschaftlicher Ratgeber und gleich auch noch als Interviewpartner fungiert) hält Gorbatschow für „keinen großen Staatsmann“. Und?

So machen hier nicht nur Männer Geschichte, sie verfügen auch über das unangefochtene Deutungsmonopol. Abgesehen von einem Sekundenstatement von Gesine Schwan reden 135 Minuten lang ausschließlich Männer. Das ist entweder peinlich oder subversiv. Kommunismus war ja fast immer Männersache. Es ging um Macht, Erlösung, Pathos, Härte. Frauen spielten (ja, ja, Rosa Luxemburg) kaum eine Rolle. Das spiegelt diese „Geschichte einer Illusion“ wider. Präzise und wohl unfreiwillig.

Die nächsten Folgen laufen am 27. April und 4. Mai, auch um 23.45 Uhr