die taz-empfehlung : Heiner spielt Gretchen
Sie nennen sich „Dramenterzett“ und sind überzeugt, den Schlüssel zur Volksbildung gefunden zu haben: Vom bildungsbürgerlichen Ballast muss man die großen Werke der Weltliteratur befreien, muss ihnen überflüssiges Personal samt Bühnenbild nehmen, um dem Publikum das Wesentliche verständlich zu machen.
Auf leicht bekömmliche 90 Spielminuten haben die Akteure in Albert Franks Lustspiel „Fast Faust“ ihren Goethe reduziert, und manches spricht dafür, dass sie sich auf ungeahnten Wegen dem bekannten Stoff nähern werden. Regie führt Franz Burkhard, der seit 1996 frei arbeitet und derzeit an der Stuttgarter Hochschule für Musik und darstellende Kunst lehrt.
Heiner und Hannah also sollen Faust, Gretchen und die restlichen 55 Rollen spielen. Kleines Malheur allerdings: Hannah hat Theater und Leben verwechselt, ist schwanger von Heiner – fünfte Woche – und erscheint folglich nicht zu den Proben. Impresario André indes überlegt nur kurz: Heiner soll zur Strafe sämtliche Rollen spielen – auch aus Sühne, weil er die hehre Kunst so schnöde geschmäht hat.
Wie es sich allerdings ausnimmt, wenn Heiner Gretchen-Texte wie „Bin weder Fräulein weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn“ rezitiert und spielt, mag sich der geneigte Zuschauer selbst überlegen. Vielleicht werden große Teile des Publikums nach Genuss des Frank‘schen Stücks, Goethes „schwankenden Gestalten“ gleich, gen Heimat wanken – entweder entsetzt angesichts des Klassiker-Verschnitts, oder mit Goethe versöhnt fürs Leben. PS
heute, 19.30 Uhr, Hamburger Sprechwerk, Klaus-Groth-Str. 23