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■ Heiner Müllers Erbe sei der Mut für das BE – heißt es im BE. Doch weiter weiß das Berliner Ensemble nichtVom Sound des Müller-Theaters

Mittlerweile haben wir sie fast alle durch. Während sich die Geschäftsführung des Berliner Ensembles und die Berliner Kulturverwaltung erst nach Heiner Müllers Beerdigung am Dienstag über seinen möglichen Nachfolger äußern wollen, führt in meinem Bekanntenkreis seit Tagen nahezu jedes Gespräch irgendwann zu diesem Thema. Dabei redet man über die in Frage kommenden Künstler wie über gute Bekannte.

Einar Schleef etwa gilt nicht als „integrative Persönlichkeit“ und wird deshalb trotz deutlichen künstlerischen Profils meist ebenso abgelehnt wie Müllers ehemalige Mitdirektoren Peter Palitzsch und Fritz Marquardt als „BE-Greise“. Ruth Berghaus indessen, die zwischen 1971 und 1977 schon einmal Intendantin des Berliner Ensembles war, kommt erstaunlicherweise eher in Betracht. Dabei ist die 68jährige nur neun Jahre jünger als Palitzsch und sogar ein Jahr älter als Marquardt. Und niemand weiß auf Anhieb, wo sie derzeit wohnt.

Auch Volksbühnenchef Frank Castorf wird kurioserweise vorgeschlagen. Denn – kleiner Finger, ganze Hand? – „der inszeniert doch bald am BE“ und „bräuchte mal wieder eine starre Umgebung, um dagegen anpowern zu können“. Thomas Heise wiederum wird von den meisten für „zu jung“ gehalten, obwohl er schon vierzig ist. Außerdem hätte man „zu wenig von ihm gesehen“.

Auffallend ist, daß sich die meisten Spekulationen im Dunstkreis des Berliner Ensembles bewegen. Auch wenn der künstlerische Koordinator des Theaters, Stephan Suschke, kurz nach Müllers Tod für einen Nachfolger plädierte, dessen Name „die Theaterwelt nach dem Bekanntwerden mindestens zwei Wochen in Erstaunen versetzt“ – wünschenswert ist eine sogenannte prominente Lösung nicht.

Generell wäre es zwar zu begrüßen, etwa Hans Neuenfels wieder in Berlin zu haben, aber mit der kleinen Bühne des Berliner Ensembles käme ein Breitwandregisseur wie er wohl kaum aus. Andere, wie Claus Peymann, haben Verpflichtungen, wieder andere, wie Alexander Lang, können jederzeit am Deutschen Theater inszenieren. Und schließlich ist auch nicht jeder namhafte Regisseur automatisch BE-kompatibel.

„Erst Heiner Müller hat dem Berliner Ensemble wieder den Rang verschafft, ein politisch brisantes Theater zu sein“, sagte die BE-Schauspielerin Carmen-Maja Antoni in der taz vom 6./7. Januar. Das stimmt nicht ganz. Zumindest nicht so. Der ehemalige Mitdirektor Peter Zadek hat auch etwas dazu beigetragen, daß das Berliner Ensemble politisch wieder ins Gespräch kam. Einfach dadurch, daß er, ein Regisseur aus dem Westen, da war und in Schleefs Inszenierung von Rolf Hochhuths „Wessis in Weimar“ eine totalitäre Ästhetik zu entdecken meinte.

Durch diese Polarisierung erst entwickelte sich das Haus von einem Schaufenster Ost-West mit fünf Direktoren im Angebot schließlich zum „Müller-Theater“. Die erste Spielzeit, die Müller in alleiniger Verantwortung ankündigte, war die Spielzeit 1995/96: mit Regisseuren wie Heise, Müller, Palitzsch, Schleef und Castorf, mit Stücken von Brecht, Müller und Shakespeare. „TROMMELN IN DER NACHT“, „DER AUFTRAG“ – Stücke, in deren Titel jeder Buchstabe als Ausrufezeichen geschrieben wird und die die Utopien und Desillusionierungen von einst abklopfen. 1995 blieb dieser Spielplan nur ein Versprechen, zwei Projekte mußten verschoben werden. Aber im Februar haben Heises Inszenierung von Müllers „BAU“ und Schleefs Inszenierung von Brechts „PUNTILA“ Premiere.

Müllers Erbe sei „nicht das Zweifeln, sondern der Mut für das BE“, sagte Carmen-Maja Antoni auch. Dieser Satz wiederum gilt. Denn wurde hin und wieder auch über das „Müller-Mausoleum“ gewitzelt – Zweifel daran, daß das Berliner Ensemble mit dem Logo „Brecht Müller Shakespeare“ zwischen den Berliner Vorzeigetheatern einen ganz eigenen Platz einnehmen könnte, sind nicht berechtigt. Weder beschäftigt sich dieses Haus mit postsozialistischer Identitätsstiftung wie die Volksbühne, noch kümmert es sich um den Bildungskanon wie das Deutsche Theater, und mit einem feingeistigen Krisenbewußtsein für Schaubühnenbesucher hat es schon gar nichts zu tun.

Der Weg, auf dem das Berliner Ensemble Profil gewinnen kann, ist hart und steinig – für die Zuschauer. Denn hier amüsiert sich so leicht keiner. Archäologisches Interesse und Lust an der Formalisierung muß man schon mitbringen. „Bei Stalingrad denkt man an die Nibelungen. Und an Rosa Luxemburg“, sagte Müller kürzlich in einem Interview. Genau das ist der Sound des Berliner Ensembles: Geschichte wird symptomatisch, wenn man sie nur von ausreichender Höhe aus betrachtet. Leidens- und Kampfeswege geraten zu grafischen Elementen. Antipsychologisch und streng choreographiert ist dieses Theater: die deutsche Geschichte als Ornament.

Beide Regisseure, die derzeit am Berliner Ensemble inszenieren, arbeiten konsequent in dieser Richtung. Wie sie arbeiten, ist allerdings sehr unterschiedlich: hinter fest verschlossenen Türen Einar Schleef, mit weit geöffneten Toren Thomas Heise. Ein Solist und ein Chorführer. Einer, der in der Öffentlichkeit stets leicht beleidigt wirkt, der andere von abweisender Bescheidenheit. Der eine auch ein Literat, der andere auch ein Filmemacher. Beides Regisseure mit politischem Bewußtsein und diszipliniert pathetischer Gestaltungskraft, doch ohne moralisierenden Impetus. Beide zusammen in einem Direktorium wären möglicherweise eine Katastrophe. Aber einer von ihnen, mit einem pragmatischen Adlatus zur Seite – so könnte man das Berliner Ensemble der Zukunft sehen.

Doch die Verhältnisse, die sind vielleicht nicht so. Das Haus gehört nicht dem Land, die bezahlten Subventionen sind Subventionen auf Pump – und auf Abruf. Berlin ist arm, die Lage schlecht. Der nächste Kultursenator wird eine Halbtagskraft mit CDU-Parteibuch sein, der derzeitige Vertrag der Berliner Ensemble GmbH läuft Ende 1997 aus. Vielleicht wird sich die BE-Geschäftsführung vorauseilend für einen künstlerischen Leiter entscheiden, der dem konservativen Bedürfnis nach „repräsentativem“ Theater Genüge tut. Nach einem, den das Weltfeuilleton bereits gesegnet hat und der mit einem Strahlenkranz ums Haupt das Berliner Ensemble zur übergriffsfreien Zone machen soll. Könnte aber sein, daß es dann bald nichts Spezifisches mehr geben würde, was sich zu verteidigen lohnte. Petra Kohse

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