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Heimplatz für modulhaften CDU-Stadtrat

■ betr.: „Traum vom selbstbestimm ten Leben“, taz vom 24.6. 97

Gegen hoheitliche Gewalt kann man sich notfalls zur Wehr setzen, bei hoheitlicher Fürsorge aber muß man wirklich aufpassen. Wenn ein CDU-Sozialstadtrat es nicht verantworten kann, eine erwachsene, nicht entmündigte Frau selbst entscheiden zu lassen, wo und wie sie sich ihr Leben einrichten, wann sie aufstehen und wann sie zu Bett gehen will, dann wäre es ehrlicher zuzugeben, wie wenig er von der Würde des (behinderten) Menschen und seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit hält, als sich hinter einer „Fürsorgepflicht“ zu verstecken.

Nicht weniger scheinheilig ist die Behauptung, daß eine eigene Wohnung und eine 24-Stunden- Betreuung „zu teuer“ käme. Zumindest muß das nicht so sein. In Holland gibt es beispielsweise das Modell „Focus“, wo pflegebedürftige Behinderte von einer nahegelegenen, je nach Tageszeit mit zwei oder mehr Pflegekräften besetzten Pflegestation in der Weise „betreut“ werden, daß sie die erforderliche Hilfe jederzeit (auch nachts) abrufen können. Dem Vernehmen nach soll dieses Projekt sogar kostengünstiger sein als eine Heimunterbringung. Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Wohn- und ambulante Betreuungsprojekte, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, ohne daß die Finanzierung ein unlösbares Problem wäre. [...]

Aufgrund einer Muskelerkrankung werde ich eines Tages wohl auch vor der Frage stehen, ob ich in einem Heim nicht besser aufgehoben wäre. Wenn ich mir aber vorstelle, daß ich meinen dortigen „Lebensmittelpunkt“ nicht nach eigenem Geschmack einrichten darf, ihn womöglich mit einer fremden Person teilen muß, mein „Heimplatz“ noch nicht einmal genug Platz hat für einen PC, ich mich modulgemäßen Säuberungs- und anderen Ritualen unterwerfen und sogar einen Antrag stellen muß, wenn ich mal ausgehen oder spät nach Hause kommen will, dann würde ich eher eine Unterversorgung in der eigenen Wohnung in Kauf nehmen, als mich in einem Heim zu einem Pflegefall oder zu einem Invaliden (von lat. invalidus = minderwertig) machen zu lassen. Meinen Heimplatz kann dann gerne ein modulhafter CDU- Stadtrat haben.

Klaus Fischbach

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