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: Heilige Schlachtung

■ "Sterns Stunde"

„Sterns Stunde“, Montag, 20.15 Uhr, ARD

Heiligabend 1971. Das Wildbret dampft, das Egerländer Hornquintett bläst „White Christmas“ von der Platte, beschaulich begehen die deutschen Waidmänner das Weihnachtsfest. – Bis Horst Stern im Fernsehen mit inquisitorischem Ton seine Meinung über den Rothirsch kundtut: „Ein Schädling, der durch Verbiß und Rindenschälung den Baumnachwuchs behindert.“ Damit vermiest er nicht nur dem Pförtner der ARD einen ruhigen Abend, sondern macht sich selbst für 10 Jahre zum Freiwild deutscher Jäger.

Montag abend 1995. Horst ist zurück. Noch einmal dürfen wir seiner legendären Schlachtung der heiligen Hirschkuh beiwohnen. Auch ein Vierteljahrhundert nach der Erstausstrahlung hat die Reportage nichts von ihrer Rigorosität eingebüßt, mit der Stern die „jagdliche Entartung und Trophäensucht der bürgerlichen Wilderer“ anprangerte. Im Gegenteil. Erst retrospektiv wird Sterns volle Größe erkennbar. Als Greenpeace und Waldsterben noch Fremdwörter waren, lenkte er sein getarntes Amphibienfahrzeug unbeirrt durchs Unterholz, um den Schaden an Wald und Flur mit buchhalterischer Akribie zu dokumentieren. Während Grzimek zum Gaudium der Zuschauer ganze Affenfamilien ins Studio schleppte, war Stern stets Mahner. Bis zur Misanthropie sendete Stern gegen die Scheinheiligkeit menschlicher Tierliebe an, die nur Knopfäugiges mit Kuschelfell duldet und Legionen hochentwickelter Insekten ohne Zögern vernichtet.

Stern sprach keinen Kommentar zu seinen Filmen, sondern begleitete sie mit einer Art atemlosem Sprachgebell, dem Euphemismen fremd waren. Das „mythologisierende und sakrale“ Jägerlatein decodierte er in der ihm eigenen Dialektik, die aus Geweihen „wuchernde Knochenberge“ und aus Rehen „halbdomestizierte Krippenfresser“ machte. Zehn Jahre währte sein Kampf für die Natur, bis er sich Mitte der 80er Jahre resigniert vom Fernsehen abwendete, um fortan Romane zu schreiben. Das Feld der Tierfilme überließ er jenen, die seinen nüchternen Blickwinkel durch sentimentale Effekte ersetzten. Denn ebenso fremd wie die Nachsicht den Menschen gegenüber war Horst Stern die übermäßige Tierliebe. Die Frage, ob Tiere die besseren Menschen seien, verneinte Stern stets rundheraus. Tiere nicht, aber du, Horst. Oliver Gehrs