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Heiko Werning Brandenburger Bräunung

Über einen dieser rätselhaften Frühsommerfeiertage fahren wir ins Brandenburgische: drei Berliner und ein Freund aus Baden-Württemberg. Der ist schon ganz aufgeregt: „Ich will Nazis sehen!“, verkündet er. „Habt ihr doch bei euch selbst genug“, erwidere ich. „Ja, aber die leben bei uns eher so versteckt. Bei euch kann man sie richtig in freier Wildbahn sehen!“

Ich erkläre ihm, dass man die Menschen im Osten nicht dauernd mit Nazi-Vorwürfen abstempeln darf, egal, wie leuchtend blau die ehemalige DDR inzwischen in ihren Originalkonturen auf den Wahlkreiskarten plötzlich wieder auftaucht. Wie das Monster im Horrorfilm: Man denkt, es ist lange tot, aber dann steht es doch wieder vor der Tür. Aber man muss die Menschen unterstützen, die hier leben und dagegenhalten, erkläre ich dem Freund. Die darf man nicht mit Vorurteilen verärgern. „Sonst werden die auch Nazis?“, fragt der Freund.

Lange suchen muss er jedenfalls nicht. Wir sind noch keine Stunde unterwegs, da passieren wir bereits eine Horde Jungmänner, aus deren Boombox in infernalischer Lautstärke Rechtsrock ertönt. Der Freund ist entzückt. Bald folgt ein Grundstück, auf dem die Reichskriegsflagge gehisst ist. Der Freund macht ein Selfie davor.

Der Hörakustiker in dem kleinen Örtchen, das wir besuchen, hat sein Auto nicht nur groß mit dem Werbespruch „Bei Hör-Problemen zum Fachmann gehen: Ralf Kühnke“ versehen, sondern auch mit Aufklebern zu den Themenfeldern Great Exchange und Impfdiktatur. Ein weiterer Sticker informiert uns, dass wir die ganze Wahrheit über den Plan der Welteliten erfahren, wenn wir dem dort abgebildeten QR-Code folgen. Was in Brandenburg natürlich unmöglich ist, es gibt ja sowieso kein Netz. Auf die Hörgeräte von Herrn Kühnke verzichten wir allerdings gern – damit hört man offenbar seltsame Stimmen.

Der Freund fotografiert noch schnell das Auto. Es ist ein bisschen wie auf einer Safari. Wir haben schon Löwen und Elefanten gesehen! Da hat er richtig was zu erzählen, wenn er zurück nach Hause kommt.

Auf dem Weg zum Campingplatz kommen wir an einem Dönergrill vorbei. Immerhin, ein Zeichen von Zivilisation, freuen wir uns. Ich gehe schnell rein, um ein paar Biere als Schlummertrunk mitzunehmen. Als ich dem Dönerwirt die Flaschen hinstelle, fragt er: „Kommst du aus Berlin?“ Ich nicke. „Wo da?“ – „Wedding.“ Er strahlt mich an: „Ich wohne auch im Wedding!“ – „Du wohnst im Wedding?“ Ich kann es nicht glauben. „Bist du hier nur zur Aushilfe, oder was?“ – „Nein, nein, ich arbeite fest hier. Aber wohnen kannst du hier nicht, Bruder. Voll komische Leute. Voll seltsam, voll viele Nazis. Sind nur anderthalb Stunden bis Wedding. Fahr ich lieber, weißtu?“

Später am Zelt kracht es im Busch neben uns. „Ein Nazi?“, fragt der Baden-Württemberger erschrocken. Es ist dann aber doch nur ein Waschbär. Ein Immigrant. Und der fährt abends garantiert nicht zurück nach Berlin. Es gibt noch Hoffnung.

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