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Heiko Werning Beim Avocado-Fundamentalisten

Diese Barbershops werden ja offenkundig immer angesagter, habe ich den Eindruck. Jedenfalls hat sich das „Hairstyle by Erem“ bei uns im Haus zu einem echten Kieztreffpunkt entwickelt, und weil der Laden recht klein ist, hat Erem jetzt im Sommer kurzerhand auf den Bürgersteig expandiert und ihn zum Wartezimmer umfunktioniert.

„Wieso kommen hier eigentlich nur Männer hin?“, hatte ich ihn in einem ruhigen Moment mal gefragt, als er kurz draußen vor der Tür verschnaufte.

„Weil: Ist Barbershop! Ist halt für Männer!“, hatte er geantwortet. „Frauen gehen zum Friseur, Männer zum Barbershop. Ist modern!“

„Geschlechtertrennung? Das ist modern?“, fragte ich skeptisch zurück. Es gäbe jetzt sicherlich genug Leute, die über die überholten Geschlechterrollenbilder bei der migrantischen Bevölkerung herziehen würden, aber da sage ich nur: Denkt an die Überraschungseier in dieser gruseligen Mädchen- und Jungs­version und schweigt!

„Ein Barbershop ist also nur für Männer?“, fragte ich noch einmal nach, weil ich das tatsächlich nicht wusste. Ich bekomme ja so viel nicht mit von dieser modernen Welt.

„Ist nur für echte Kerle“, antwortete Toni, der Besitzer vom Spätkauf, aus dem Hintergrund. Ich drehte mich überrascht um, den hatte ich gar nicht gesehen. Kein Wunder, er saß im Schatten unter den Grünstreifenbüschen, entspannt in einem Ledersessel, den er sich auf die Seestraße gestellt hatte, den Kopf nach hinten gestreckt, das Gesicht entspannt nach oben haltend. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, denn er sah aus wie Kermit der Frosch. Sein ganzes Gesicht war mit einem zähen, grünen Schleim eingeschmiert.

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte ich entsetzt. „Avocado-Maske“, antwortete Erem. Ich war baff. „Avocado-Maske?“, hakte ich ungläubig nach. „Wozu soll das denn gut sein?“

„Ist der heilige Gral gegen trockene Haut, Bruder! Ist selbst gemacht! Mit Avocado, Honig und Ayran. Hat krass wertvolle Mineralstoffe, Spurenelemente und Eiweiße. Wegen dem Ayran. 19 Euro, kannstu auch kriegen, Bruder!“

„Ich weiß nicht. Ich dachte, dafür nimmt man Gurken, und ich habe das immer für eher so Volksglauben-Quatsch gehalten.“ – „Ja, Gurke ist Volksglauben-Quatsch. Gurke ist für Kartoffeln. Du musst Avocado nehmen! Mit Ayran!“ – „Und du machst Avocado-Masken im Barbershop nur für Männer?“ – „Ist halt nur für echte Kerle“, bestätigte Toni nochmals und schaute mich aus seinen grün umschmierten Augen intensiv an, „aber Gurke ist auch gut, kannst du Scheiben auf die Augen legen, das hält die Augenlider geschmeidig. Erem ist da ein bisschen streng, weißtu, so ein Avocado-Fundamentalist. Ich sag ja immer: Wir sind multikulti hier. Ich mach Avocado-Maske auch mit deutschem Joghurt, ‚Landliebe‘ ist ganz gut. Und Gurkenscheiben für die Augenlider. Man muss das Beste aus allen Welten nehmen.“

„Für echte Kerle“, bestätigte Erem.

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