■ Heese, Kohl und die doppelte Staatsbürgerschaft: Fußballdeutsche
In der 20. Minute des Spiels gegen die Abstiegskandidaten aus Uerdingen fehlte dem Frankfurter Fußballtrainer Horst Heese kurzzeitig der Durchblick. Jedenfalls schickte er einen vierten Ausländer aufs Spielfeld, und das ist bekanntermaßen unzulässig. Auch wollte den Wechselfehler niemand als Fortsetzung der DFB-Einmalaktion „Mein Freund ist Ausländer“ werten, und so wird die Eintracht wohl nachträglich der auf dem Rasen errungene Sieg aberkannt werden. Ein deutsches Unternehmen im Profifußball darf zwar unbegrenzt ausländische Angestellte beschäftigen; arbeiten, will heißen spielen, aber dürfen zur gleichen Zeit nur deren drei. Die wetträchtige Frage, ob denn ein Verein ganz ohne deutsche Spieler „Deutscher Meister“ werden könnte, beantwortet sich nach diesen Vorgaben wie von selbst – allerdings in der Regel falsch. Die korrekte Antwort lautet: Ja. Auch elf fremde Freunde, keiner von ihnen im Besitz eines deutschen Passes, wären berechtigt, sich den besagten Titel zu erkicken. Wie das?
Die Lösung: Im bezahlten Fußball gibt es, was es im richtigen Leben dieser Republik nicht gibt, nämlich Akteure der dritten Art: nicht Deutsche und auch nicht Ausländer, sondern – Fußballdeutsche. Hätte Horst Heese anstelle von Herrn Penksa (Slowakei) direkt Herrn Anicic (Ex-Jugoslawien) die Einsatzorder gegeben, wäre nichts passiert. Denn Anicic ist Fußballdeutscher. Wer unter welchen Bedingungen Fußballdeutscher werden darf, regelt die Spielordnung des Deutschen Fußballbundes. Im Grunde aber ist diese Spezies nicht Mainmetropolitaner, sondern Bonner Abstammung. Der Fußballdeutsche ist Folgeerscheinung nicht stattgefundener Politik.
Seit Jahrzehnten probieren es Bonner Politiker mit dem Mantra, daß Deutschland kein Einwanderungsland sei. An der gegenteiligen Wirklichkeit änderte das nichts. Resultat war aber eine tiefe Spaltung des Landes: Oben beharrte man in Treue fest auf der völkischen Grundlegung des Staates; unten ließ sich solche Verbohrtheit nicht durchhalten, sondern wirkte als Anstiftung zur Selbsthilfe. Während also die Einbürgerungsgesetze vom Vorhaben der „Deutschwerdung“ abschrecken, konnten sich Institutionen mit Bürgernähe solche Ignoranz nicht leisten. Und so kam es, daß der nicht eben als liberal bekannte Deutsche Fußballbund sich schon 1988 provozierend fortschrittlich zeigte – indem er den Fußballdeutschen erfand. Zitat aus der DFB-Spielordnung für Profis: „Einem deutschen Spieler gleichgestellt ist ein Spieler, der, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, die letzten fünf Jahre, davon mindestens drei Jahre als Juniorenspieler, ununterbrochen für deutsche Vereine spielberechtigt war.“ Nach fünf Jahren Warteschleife wird fußballerisch eingebürgert.
Bei Fristen und Verfahren ist der DFB der Bonner Politik unanständig weit voraus: Der fußballerische Akt der Gleichstellung erfolgt ohne Prüfung, ohne Ansehen der Person, ohne Länderlisten und ganz ohne Antrag, also automatisch. Wer jetzt den Pferdefuß in Form des fehlenden Widerspruchsrechts der Betroffenen entdeckt zu haben glaubt, liegt falsch: Es handelt sich um eine ausgesprochen sanfte Art der Zwangseinbürgerung, die eine sportliche Variante von Doppelstaatsangehörigkeit als Normalfall akzeptiert. Der Fußballdeutsche wird durch keine Vorschrift daran gehindert, sich für das Land als Nationalspieler zu engagieren, dessen Staatsbürger er weiterhin ist. Staatsangehörigkeit Ghana, Fußball-Deutscher – das geht zusammen.
Helmut Kohl hat unmittelbar vor der Absegnung des „Asylkompromisses“ seine Bereitschaft angedeutet, über eine doppelte Staatsbürgerschaft auf Zeit gegebenenfalls einmal nachzudenken. Es beleuchtet eindrucksvoll den „Verhandlungserfolg“ der Kloses, wenn selbst so etwas als Zucker für Sozialdemokraten gelten kann. Aber das ist nicht das Entscheidende: Der Kanzler macht deutlich, wie weit die Politikgeber sich von den gesellschaftlichen Realitäten entfernt haben. Siehe Fußballdeutsche. Arthur Heinrich
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