Hauptstadtradeln: Viel geradelt, viel erreicht, noch viel mehr zu tun
Der BUND bewertet Zustand und System von Radwegen in der Stadt und hat einen neuen Fahrradstadtplan aufgelegt.
Über so manche Planung kann Tilo Schütz nur den Kopf schütteln: Da wird eine neue Kreuzung gebaut, wie unlängst am Tempelhofer Hafen - und der Radverkehr wird schnurstracks in die Parkplätze hineingeleitet. "Wer sich ordnungsgemäß verhält, steckt folglich hinter einem Auto fest", sagte Schütz. Die Planung, die auf das Konto der Verkehrslenkung Berlin geht, ist ein Relikt vergangener Zeiten - ein Einzelfall, wie Schütz am Donnerstag bekannte. Der indes bestätigt: "Es gibt noch viel zu tun."
Monatelang ist der Stadtplaner im Auftrag des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Straßen abgeradelt, um zu sehen, was sich seit Erscheinen des ersten Fahrradstadtplans vor fünf Jahren getan hat. Die Ergebnisse sind in eine Neuauflage der Karte gemündet: erweitert auf Straßen außerhalb des Rings, mit einer Auflage von 6.000 Exemplaren.
Dabei zeigt sich, wie lückenhaft das Routennetz für Radfahrer ist. In Bezirken wie Lichterfelde und Reinickendorf gebe es kaum durchgehende Strecken. "Außerdem sind manche Radwege auf dem Stand der 60er-Jahre", bilanzierte Schütz. Defizite gibt es auch bei der Durchfahrt von Grünanlagen. Der Weg von der Crellestraße zur Kolonnenbrücke etwa sei offiziell nur für Fußgänger zugelassen - für Radler sei die autofreie Querverbindung aber ebenso sinnvoll.
"Handlungsbedarf sehen wir auch bei Busspuren", sagte BUND-Verkehrsreferent Martin Schlegel. Nach Vorstellung des Verbands sollten die Spuren durchgehend 4,75 Meter breit sein, um Konflikte zwischen Radfahrern und Bussen zu entschärfen.
Schlegel forderte, die Investitionen in den Radverkehr zu steigern. In Berlin seien 2009 pro Einwohner 2,25 Euro investiert worden - in den Niederlanden mehr als siebenmal so viel. Verbessert werden sollte dem Verband zufolge dabei nicht nur die Infrastruktur. "In den Bezirken ist man mit den Personalkürzungen zu weit gegangen, dort stauen sich die Maßnahmen", sagte Schlegel. Der Mentalitätswandel sei derweil überwiegend vollzogen. "Ziemlich viel von dem, was wir vor fünf Jahren gefordert haben, ist umgesetzt worden", so der Referent. "Die Bezirke sind willig." Der Verband begrüßte etwa die Gründung von Fahr-Räten in Bezirken; in diesen Gremien werden die Belange des Radverkehrs besprochen.
Der Plan ist für 6,90 Euro im Buchhandel erhältlich. Straßen sind nach ihrer Radfreundlichkeit markiert. Was fehlt, sind Hinweise auf gefährliche Stellen; ständig werden Radfahrer verletzt, weil Autofahrer sie beim Abbiegen übersehen. Zuletzt geschehen am Mittwochabend in Mitte. Das Opfer kam ins Krankenhaus, der Autofahrer blieb unverletzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?