Hate Speech im Netz: Not just a pretty face

Hate Speech im Netz betrifft vor allem Frauen. Unsere taz lab-Autorin Anastasia Tikhomirova fordert effektive Strategien gegen Hass im Netz.

Eine Grafik mit einer Sprechblase und unterschiedlichen Symbolen darin, die für Hass und Beleidigungen stehen

Digitale Gewalt hat reale Folgen für Betroffene - es braucht auch im Analogen Gegenstrategien Foto: taz/Aletta Lübbers

von ANASTASIA TIKHOMIROVA

Wir leben in einer Zeit, in der ein großer Teil unseres Lebens und zwischenmenschliche Kommunikation irreversibel ins Digitale verlagert sind und sich darin abspielen. Spätestens jetzt müssen wir damit anfangen, das Internet als einen Raum zu begreifen, in dem ein funktionierender, respektvoller Diskurs auf Augenhöhe die Regel und nicht die Ausnahme ist. Leider ist jedoch meistens eher Letzteres der Fall.

Hasskommentare im Internet nehmen konstant zu und können sowohl gegen Einzelpersonen als auch bestimmte Gruppen von Menschen gerichtet sein. Unter den Begriff Hate­ Speech fallen sowohl strafbare als auch nicht strafbare Ausdrucksweisen im Internet, die zur Abwertung, zum Hass oder zur Gewalt gegen bestimmte Menschen aufrufen.

Diese Art der digitalen Gewalt kann nahezu jede und jeden treffen, betrifft laut aktuellen Studien jedoch nicht alle gleichermaßen, sondern vor allem Frauen. 70 Prozent sind in Deutschland schon einmal Bedrohungen, Beleidigungen, Diskriminierungen sowie sexualisierter Belästigung im Netz ausgesetzt gewesen– so wie auch ich.

Letzte Woche publizierte ein selbsternannter Privatgelehrter und Autor ein Hasspamphlet gegen mich in seiner Facebook Echokammer, worin er versucht einen meiner früheren Texte zu kritisieren. Seine Kritik besteht jedoch ausschließlich darin, mich auf mein äußerliches Erscheinungsbild und mein junges Alter zu reduzieren und er geht mit keinem Satz seines mit misogynen und sexistischen Beleidigungen gespickten Verrisses auf den Inhalt meines Stücks ein.

Allein mein Aussehen und die Art, wie ich mich auf meinem privaten Social- Media-Account präsentiere, sind für ihn ausschlaggebend dafür, mir die journalistische Kompetenz abzusprechen. Seiner Meinung nach sexualisiere ich mich, meiner Selbstdarstellung zufolge, absichtlich selbst und habe deshalb nicht das Recht, mich an einer politischen Debatte zu beteiligen.

Auch Hass im Netz hat eine Geschlechterdimension

Hier wird die Geschlech­ter­ungleichheit deutlich, welche sich auch im Digitalen auswirkt. Denn auch Hass im Netz hat eine Geschlechterdimension – zwar ist jede und jeder von Hate­speech betroffen, jedoch unterschiedlich stark und aus verschiedenen Gründen. Auch hier beanspruchen Männer digitale Räume für sich – Frauen sind gestattet, jedoch nur, wenn sie sich in den für sie vorgesehenen Nischen wie Lifestyle, Popkultur und Mode bewegen. Daraus resultiert, dass Frauen im Netz generell eher zurückhaltend und passiv bleiben, aus berechtigter Furcht vor Hate Speech Angriffen.

Sobald eine Frau jedoch damit beginnt sich in einem männerdominierten Feld zu äußern, schlägt ihr ein vehementer, oft von Hass durchsetzter Gegenwind entgegen – vor allem, wenn sie selbstbestimmt und emanzipiert auftritt. Smart und sexy scheint als Kombination in diesem Fall nur für Männer zu gelten.

Ungleiche Maßstäbe

In dieser Welt würde niemand anfangen, an der Kompetenz eines Mannes zu zweifeln, der sich neben seiner politischen Tätigkeit „freizügig“ präsentierte. Eine Frau hingegen muss sich entscheiden, denn beides geht nicht.

Während Putin zum Beispiel oberkörperfrei auf einem Bären reitet, seine Männlichkeit zur Schau stellt und dafür gefeiert wird, oder Matteo Salvini ohne Shirt am Strand posiert, hagelt es für die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin starke Kritik, nachdem sie sich mit tiefem Dekolleté für ein Modemagazin fotografieren lässt. Es sei unprofessionell für eine Frau in ihrer Position sich so zu zeigen, meinen Kritiker:innen.

Doch warum ist es ein Widerspruch, politisch erfolgreich und „freizügig“ gekleidet zu sein und damit die eigene Weiblichkeit zu zelebrieren? Wieso wird eine Frau noch immer nach ihrem Aussehen und nicht nach ihrer Position und Kompetenz beurteilt?

Frauen müssen nicht bodenständig sein, um respektiert zu werden

Chauvinisten reduzieren selbstbestimmte Frauen auf ihr Aussehen, während sie ihnen gleichzeitig den Vorwurf machen, das absichtlich selbst zu tun. Sie haben Angst vor weiblicher Sexualität. Frauen, über die sie keine Deutungshoheit mehr haben, schüchtern sie ein und das macht sie wütend.

Doch Frauen müssen nicht bodenständig sein, um respektiert und ernst genommen zu werden. Leider hält sich dieses Bild jedoch noch immer in den Köpfen vieler Menschen. Es scheint, als würde noch immer das aus der Zeit gefallene Twain’sche Zitat die Eignung für eine politische Tätigkeit determinieren: „Naked people have little or no influence on society.“

Wenn sich dann jedoch die sogenannten „Naked People“, oder marginalisierte Gruppen emanzipieren und sukzessive mehr Mitspracherecht und Einfluss auf politische Debatten erkämpfen, kulminiert dies in wütenden Ergüssen ihrer empörten Kritiker:innen und Gegner:innen auf ihren Social Media Accounts – weil es dort eben am einfachsten und meistens ohne Konsequenzen geht.

Strategien sind da, aber es mangelt an der Umsetzung

Natürlich ist konstruktive Kritik unabdingbar und sollte stets geäußert werden dürfen – doch um diese Art der Kritik geht es hier nicht. Kontroverse Meinungen und Standpunkte sollten ausgetauscht werden dürfen, ohne dabei zu verletzen oder zu bedrohen.

Soziale Medien können als fünfte Gewalt verstanden werden – sie prägen den digitalen Diskurs. Hier beginnen politische Bewegungen und Diskussionen, Meinungsbildung und mitunter auch Ereignisse und Veranstaltungen finden hier statt. Das bisher jedoch größtenteils ungefiltert und unkontrolliert.

taz-lab-Tickets

Der Ticketverkauf für das digitale taz lab am 24. April erfolgt über unser Ticketportal.

Wie immer greift unser solidarisches Modell mit Preisen zu 40€ (Normalpreis), 20€ (ermäßigter Preis) und 60€ (politischer Preis).

Die Tickets des taz lab 2020 gelten auch für das Jahr 2021. Kontaktieren Sie uns unter tazlab@taz.de oder warten Sie auf unsere E-Mail zur Übermittlung der digitalen Zugänge.

Das Programm für das digitale taz lab 2021 finden sie hier.

Trotz Netzwerkdurchsetzungsgesetz, unzähliger Kampagnen und Zivilcourage der Community bleibt Hate Speech weiterhin problematisch. Wer den Hass nicht aushält, wird gegaslightet und bekommt zu hören, dass mensch „den Laptop einfach mal zu klappen müsse“, sich etwas zurücknehmen und weniger provozieren solle. Von Polizist:innen werden viele Betroffene nicht ernstgenommen und abgewiesen, Prozesskosten, um gegen Hassattacken vorzugehen, können viele nicht stemmen.

Die Verfolgung solcher Vorfälle zieht sich und wird häufig von überarbeiteten Moderator:innen oder gar künstlichen Intelligenzen übernommen, deren Algorithmus tatsächliche Hassrede schlicht nicht erkennt und als freie Meinungsäußerung klassifiziert.

Hate Speech erzeugt ein Klima des Hasses

Dass auch digitale Gewalt real ist und reale Folgen für Betroffene haben kann, scheint nur langsam im gesellschaftlichen Diskurs anzukommen.

Obwohl sie eine Minderheit der Internetnutzer:innen darstellen, haben Trolle, Rechte und Chauvinisten unfassbar viel Macht und Spielraum im Internet und verzerren durch ihre Überpräsenz in den Kommentarspalten das Meinungsbild, schüren Hass und polarisieren.

Hate Speech erzeugt ein Klima, welches Diskriminierung und Gewalt gegen bestimmte Per­so­nen(grup­pen) verharmlost und folglich einen Nährboden für tatsächliche Übergriffe liefert. Sie normalisiert sexistisches, übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen und gibt Tätern das Gefühl, unbesiegbar zu sein, da sie in den meisten Fällen ungestraft davonkommen. Urteile wie im Fall von Renate Künast haben eine starke Symbolwirkung und verstärken diesen Eindruck umso mehr.

Doch warum ist es trotz eines wachsenden Bewusstseins noch immer so und muss es so bleiben? Sind bisherige Gesetze zur Unterbindung von Hate Speech mangelhaft oder werden sie nur mangelhaft umgesetzt?

In Deutschland ist Hate Speech noch kein eigener Straftatbestand

In Deutschland ist Hate Speech per se noch nicht einmal eine juristische Kategorie, auch wenn einige Straftatbestände, wie zum Beispiel der der Volksverhetzung, Beleidigung oder Verleumdung ihr nahekommen. Auch die Kriminalitätsstatistik der Polizei kennt Hate Speech nicht als eigenständige Kategorie.

Aber ab wann wäre Hate Speech überhaupt strafbarer Tatbestand und wann fällt es noch unter freie Meinungsäußerung? Muss die offene Begriffsdefinition von Hate Speech präzisiert werden, um als juristischer Tatbestand erfassbarer zu sein?

Allerdings hat Hate Speech in letzter Zeit an Sichtbarkeit gewonnen – das Bewusstsein für die akute Gefahr digitaler Gewalt ist gestiegen –, vor allem durch Betroffene, die diese immer öfter zur Sprache gebracht haben, statt sie stillschweigend hinzunehmen.

Warum man diese Entwicklung als Fortschritt sehen sollte, wollen wir auf dem taz lab erörtern und das ausbauen. Es gibt immer mehr Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Strategien zur Bewältigung und Verfolgung von Hate­ Speech und juristischer und psychosozialer Unterstützung von Betroffenen – diese Strategien müssen jedoch dringend effektiver umgesetzt und weiterentwickelt werden. Denn sonst bleibt das Internet, was es ist: ein beinahe rechtsfreier Raum.

Anastasia Tikhomirova, Jahrgang 1999, ist taz-lab-Redakteurin, Journalistin und macht gerade ihren Bachelor in Kulturwissenschaft und Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.Die Autorin auf Twitter: @athmrva