Hassmails an Politiker: Geballte Schwarmdummheit
Aktenordner voller Hassmails, Schmähpost und Drohbriefen gehören zum Alltag vieler Abgeordneter. Nicht erst seit Internetzeiten.
„Die Herkunft muss immer erwähnt werden“, sagt die Grünen-Politikerin Ekin Deligöz. „Selbst wenn ich nur etwas zur Reform des Ehegattensplittings sage.“ Die alltäglichen Anwürfe mit rassistischem Unterton steckt die Bundestagsabgeordnete weg, sie hat schon Schlimmeres erlebt.
„Ich bin nun mal Politikerin“, sagt die 41-Jährige. „Solange keine ernste Bedrohung dahintersteht, muss ich das hinnehmen.“ Auch das hat sie schon einmal erlebt: Als sie vor Jahren in einem Interview gläubige Musliminnen dazu aufforderte, ihr Kopftuch abzulegen, bekam sie Morddrohungen und wurde unter Polizeischutz gestellt. „Das waren nicht nur Briefe, ich wurde sogar auf der Straße blöd angemacht. Das hat mir wirklich Angst gemacht“, erinnert sich Deligöz.
Gerade erst hat Bundestagspräsident Norbert Lammert eine „zunehmende Enthemmung im Internet“ kritisiert: Was Aggressivität, Wortwahl und Tonlage angehe, würden heute oft die Grenzen dessen überschritten, was der Anstand und die Menschenwürde erlaubten, sagte er dem aktuellen Spiegel und machte dafür die Anonymität im Internet verantwortlich. Doch das Phänomen ist altbekannt.
Auch manche JournalistInnen erhalten Mails voller Hass und Ressentiment, böse Beschimpfungen in Online-Leserforen oder handschriftliche und mitunter obszöne Briefe. Die Kolumnistin Mely Kiyak, der Buchautor Yassin Musharbash und taz-Redakteur Deniz Yücel lesen ihre schönste Leserpost vor und tragen sie im fröhlichen Wettbewerb vor. Der Titel des Abends lautet: „Schön, dass Sie zwischen zwei Ehrenmorden noch Zeit finden, eine Kolumne zu schreiben.“
Am 1. April 2012 um 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße, Berlin-Kreuzberg. Eintritt frei!
Einen virtuellen „Shitstorm“, wie es auf Neudeutsch heißt, wenn Internetforen oder E-Mail-Postfächer mit wüsten Beschimpfungen oder gar Drohungen überflutet werden, haben viele Politiker schon erlebt. Eine Rede oder eine kontroverse Äußerung reichen aus, um eine Welle des Unmuts loszutreten. „Manche suchen offenbar nur nach einem Anlass, um Politiker zu beschimpfen“, hat die SPD-Spitzenfrau Aydan Özoguz festgestellt. Politiker wie sie bekommen nicht unbedingt mehr Hasspost als andere ab. Aber der Tenor ist ein anderer, wenn der Adressat einer Minderheit angehört – schnell wird da der Bogen zur ganzen Gruppe geschlagen.
„Edathy, du widerlicher Halbinder“. (Häufige Anrede an Sebastian Edathy)
Auch da gibt es Unterschiede. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy, der jetzt den Untersuchungsausschuss zu den Morden der NSU leitet, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus, entsprechend kontinuierlich wird er angefeindet: Zwei Aktenordner mit Schmähpost hat der Niedersachse bereits angesammelt. Gerne wird er darin als „Moslem“ oder „Türke“ geschmäht, obwohl er beides nicht ist. Andere, wie die Grünen-Politiker Jerzy Montag oder Josef Winkler, bekommen weit weniger diskriminierende Post, obwohl auch sie Minderheiten angehören. Aber sie stehen eben weniger im Rampenlicht.
„Es ist nur noch widerlich, wie sie und ihr Klientel sich den Juden anbiedern. Hat doch Israel das größte KZ in Form vom Gazastreifen geschaffen“. (Mail an MdB Volker Beck)
Auch der Grünen-Politiker Volker Beck wird von vielen Seiten angegangen: „Wenn ich die Pius-Bruderschaft kritisiere, ist das Postfach voller homophober Beschimpfungen. Wenn ich mich für die Entschädigung einer NS-Opfergruppe starkmache, sind antisemitische Mails die Reaktion. Und wenn ich mich für die rechtliche Anerkennung des Islam in Deutschland ausspreche, organisiert die islamophobe Webseite ’PI-News‘ einen Shitstorm“. Beck weiß, dass es sich häufig um orchestrierte Kampagnen handelt.
Mit der Anonymität des Internets hat das aber nur bedingt zu tun. „Verrückte jeder Façon können sich hier leichter organisieren. Aber mir ist nicht bekannt, dass Menschenfeindlichkeit durch das Internet zunimmt“, sagt Volker Beck.
Auch Gregor Gysi kann das bestätigen. Dass er antisemitisch beschimpft wurde, „das war gleich nach 1990 viel öfter der Fall“, erinnert er sich – also lange bevor das Internet aufkam. „Bei den Hassmails überwiegen heute deutlich jene, die sich bei den Klischees des Antikommunismus bedienen“, sagt der Linken-Chef.
„Packen Sie Ihre Koffer und gehen Sie in Ihre Heimat zurück oder am besten ins muslimische Gulag“. (Bürgerbrief an Aydan Özoguz)
Wie geht man damit um? Echte Drohungen werden von den meisten gleich an das BKA weitergeleitet, das dann eine Gefahrenanalyse erstellt. „Aber das kommt fast nie vor“, sagt Aydan Özoguz. Mit rassistischen Schmähungen und antisemitischen Beleidigungen pflegt jeder seine eigenen Umgang. „Ich ignoriere so etwas“, sagt etwa die Piraten-Geschäftsführerin Marina Weisband. „Die Nazis sollen mir nicht auch noch meine Zeit stehlen.“
Serkan Tören sieht das ähnlich. „Der Steuerzahler bezahlt mich. Da habe ich Besseres zu tun, als meine Zeit mit solchen Idioten zu verschwenden“, so der integrationspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. „Man nimmt es hin“, sagt auch die SPD-Abgeordnete Aydan Özoguz. Grundsätzlich versuche sie, alle Mails zu beantworten. Dabei hat sie schon Überraschungen erlebt. „Manche, die sich im Ton vergriffen hatten, schicken einem dann plötzlich eine absolut freundliche Mail zurück, in der sie sich für die rasche Antwort bedanken.“
Ihr Parteikollege Sebastian Edathy ist da weniger tolerant, er zeigt auch Beleidigungen an. „Eher selten“ kann der Urheber ermittelt werden. „Etwa bei 15 Prozent“ liegt die Erfolgsquote. „Wenn es sich offensichtlich um Volksverhetzung handelt und die Leute nicht ganz dämlich sind, dann machen sie’s anonym“, hat auch Omid Nouripour festgestellt. Volker Beck reagiert auf rassistische und homophobe Mails deshalb am liebsten, indem er einen Link zum Lilly-Allen-Song „Fuck You“ zurücksendet.
„Sie dreiste Kuh. Ihnen fehlt genau wie diesen ganzen religiösen Moslem-Kanacken der Respekt vor unserer Kultur und Werteordnung.“ (Brief an Aydan Özoguz)
Soll man die Schmähpost überhaupt skandalisieren? Nein, sagt der FDP-Politiker Serkan Tören: „Man sollte das nicht überhöhen.“ Er kritisiert Kristina Schröder dafür, dass sie das getan hat. „Wenn die Familienministerin von Deutschenfeindlichkeit spricht und dabei öffentlichkeitswirksam aus Mails zitiert, in denen sie als ’deutsche Schlampe‘ tituliert wird, erweckt sie damit den falschen Eindruck, als ob alle jugendlichen Migranten so wären“, sagt er. Aus seiner Schmähpost zieht er nicht den Schluss, dass Politiker-Mobbing zum Volkssport geworden sei: „Die Mehrheit der Menschen denkt nicht so“, ist er überzeugt.
Die meisten Politiker wollen über das unschöne Thema deshalb auch nicht allzu viele Worte verlieren. „Ich hätte das von mir aus gar nicht angesprochen“, sagt etwa Marina Weisband. Aber als sie kürzlich von einem Bild-Journalisten gefragt wurde, ob sie antisemitische Anfeindungen kenne, habe sie das bejaht. Prompt meldeten die Agenturen: Piraten-Politikerin Weisband antisemitisch beleidigt.
Sie selbst hat einen kreativen Weg gefunden, sich vor üblen Beleidigungen zu schützen. Leser ihres Internetblogs können die Onlinekommentare anderer Leser bewerten: die negativen Kommentare werden dann ausgeblendet, die konstruktiven gelb unterlegt. „Das Netzwerk filtert mir die Informationen vor“, schwärmt Weisband von der fürsorglichen Schwarmintelligenz. Dennoch dringen die Zuschriften zu ihr durch. Gruselig sind dann auch die vermeintlich positiven Beispiele – etwa wenn jemand ihr schreibt, er möge Juden, „auch mit ihren Schwächen“.
Mitarbeit: Wolf Schmidt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“