Haschisch doch nicht harmlos: Kiffen kann Schizophrenie auslösen
Haschkonsum erhöht das Risiko, später an Schizophrenie zu erkranken. In der Pubertät schadet die Droge besonders stark, warnen internationale Forscher.
BERLIN taz Der Horrortrip begann für Thomas Schönwasser auf einer Party während der Zivildienstzeit. Er war gerade Anfang 20 und hatte schon öfters mal einen Joint geraucht. Aber an diesem Tag tuschelten plötzlich alle um ihn herum böse Worte - so kam es ihm vor. Thomas Schönwasser ging heim, aber das unangenehme Gefühl blieb. "Sogar meine Familie kam mir immer feindseliger vor", erinnert sich der heute 40-Jährige. Erst nach Monaten wurde in einer Klinik diagnostiziert: Er war an Schizophrenie erkrankt.
Warum ein Mensch schizophren wird, ist nicht ausreichend geklärt. Genetische Veranlagungen, Lebensumstände und Stresssituationen gelten als mögliche Faktoren. Auf einer Fachtagung, initiiert vom Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin, diskutierten am Freitag in Göttingen rund 200 international führende Forscher darüber, welche Rolle der Haschkonsum für den Ausbruch der Krankheit spielen kann.
Noch Mitte der 90er-Jahre hätten viele Experten Kiffen für unproblematisch gehalten, sagte Hannelore Ehrenreich, Leiterin des Göttinger Max-Planck-Instituts und Organisatorin der Tagung, im Vorfeld der Veranstaltung. Inzwischen seien sich Wissenschaftler aber einig: Kiffen erhöht das Risiko deutlich, dass eine psychische Erkrankung ausbricht. Hannelore Ehrenreich geht davon aus, dass mindestens jeder dritte Mensch eine genetische Veranlagung zu einer Schizophrenie-Erkrankung haben könnte - aber nur bei rund einem Prozent der Bevölkerung bricht die Krankheit im Laufe des Lebens tatsächlich aus.
Bei einer Schizophrenie handelt es sich nicht um eine Persönlichkeitsspaltung wie beim Schauermärchen über Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Die Kranken leiden vielmehr unter gestörten Wahrnehmungen, Stimmenhören und Wahnvorstellungen. Die innere Welt vermischt sich mit der Realität, und ob eine Person wirklich im Raum steht oder nur eingebildet ist, können die Erkrankten nicht unterscheiden. Thomas Schönwasser glaubte zeitweise, dass Todesschwadronen der Kirche ihn verfolgen. Manchmal hielt er sich selbst für Jesus, stellte sich ans Fenster in der fünften Etage und breitete die Hände aus. "Ich dachte, ich könnte Wunder vollbringen."
Markus Leweke, Forschungsgruppenleiter an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Köln, erklärt: Wer in seiner Jugend Marihuana rauche, sei noch Jahre später stärker gefährdet. "Bei nur zwanzigmal Kiffen verdoppelt sich das Krankheitsrisiko", sagt der Wissenschaftler und Arzt. Der konkrete Auslöser für Schizophrenie seien dann oft Stresssituationen. Warum genau Cannabis das Risiko erhöhen soll, ist nicht bis ins Detail erforscht. Schließlich erkranken auch Menschen daran, die nie Drogen genommen haben.
Leweke beschreibt den Zusammenhang so: Bei normalem Bewusstsein arbeiten die Nervenzellen synchron. Beim Kiffen geraten sie dagegen aus dem Lot. Der Wirkstoff THC stört den Kontakt der Nervenzellen zueinander, sie beginnen, wie wild durcheinanderzufunken. "Klinisch würde man diesen Zustand als Psychose bezeichnen." Offenbar vergeht diese "Kurzpsychose" beim Kiffen aber nicht vollständig, sondern kann Spuren im Gehirn hinterlassen - umso tiefer, je früher man im Leben kifft. "In der Pubertät sollte man auf jeden Fall die Finger davon lassen", sagt Leweke.
Auch Thomas Schönwasser, der seine Krankheit heute durch Medikamente im Griff hat, warnt vor Drogen. Regelmäßig besucht er Schulen und erzählt von seinem Horrortrip, der nicht verging. BERND KRAMER
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