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Hartz-IVGrabenkampf in der Koalition

Der Streit über Westerwelles Äußerungen spaltet die Regierungsparteien. Unions-Leute gehen auf Distanz, NRW-FDP-Chef Pinkwart unterstützt dagegen plötzlich seinen Vorsitzenden.

Angela Merkel ist, so sagt man in kleineren Kreisen, "bestürzt". Bild: dpa

BERLIN taz | Der FDP-Vorsitzende legt in der Debatte um Sanktionen gegen Empfänger von Hartz-IV-Geldern nach. In einem Interview mit der Bild am Sonntag forderte Guido Westerwelle Leistungskürzungen, wenn junge, gesunde Bezieher von Sozialleistungen "zumutbare Arbeiten" nicht annehmen.

Zudem beklagte er "dekadente Entwicklungen in unserem Bildungssystem" und befürwortete den Plan des Familienministeriums, Leistungen für Kinder vor allem durch Sachleistungen und Gutscheine zu verbessern statt durch Geldzahlungen. Gleichzeitig verhärten sich die Fronten zwischen den einstigen "Wunschpartnern".

Junge, gesunde Empfänger von Sozialleistungen müssten zumutbare Arbeiten annehmen, erklärte Westerwelle. "Wer sich dem verweigert, dem müssen die Mittel gekürzt werden." Auf die Interviewfrage, ob zu diesen Arbeiten auch Schneeschippen gehöre, entgegnete der FDP-Chef: "Warum denn nicht?" "So praktisch" sei das Leben. "Doch weite Teile der Politik haben sich davon entfernt."

Offen kritisierte Westerwelle Alexander Dobrindt, der sich wiederholt extrem kritisch über den Kurs der FDP geäußert hatte: "Ich lese seit einiger Zeit nicht mehr, was der CSU-Generalsekretär schreibt."

Mit Blick auf kritische Äußerungen der Bundeskanzlerin zu Westerwelles Hartz-IV-Kampagne erklärte der FDP-Chef: "Das Verhältnis zu Angela Merkel ist ungetrübt." Hingegen verbreiten mehrere Medien übereinstimmend, im kleinen Kreis zeige sich die Kanzlerin bestürzt über den schrillen Ton ihres Koalitionspartners.

Offen sagt dies der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach: "Der Auftritt von Westerwelle ist klassisches Oppositionsgehabe", klagt der ehemalige Fraktionsvize im Spiegel. "Es kann doch nicht sein, dass der Vizekanzler eine Debatte über Hartz-Reformen anzettelt, ohne einen einzigen Lösungsvorschlag vorzulegen."

Hingegen verteidigt der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende und Vizeministerpräsident Andreas Pinkwart seinen Parteichef. "Guido Westerwelle hat eine wichtige Debatte angestoßen", sagte Pinkwart der Rheinischen Post. Vor einer Woche hatte er Westerwelle noch öffentlich nahegelegt, innerparteiliche Macht abzugeben. Im Mai wird in NRW gewählt.

Laut einer Umfrage von Infratest dimap konnte die FDP in der vergangenen Woche um zwei Prozentpunkte auf zehn Prozent zulegen.

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12 Kommentare

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  • SW
    Steffi Windeisel

    @Markus Kunze:

    :-)

     

    Sei doch einfach froh, dass du einen Job hast. Du machst ihn zwar sehr schlecht, so dass jeder erkennen kann, warum du solche Kommentare verfasst, aber du kannst ja noch ein bißchen üben.

     

    Eine Antwort auf deine tollkühnen "Behauptungen" erspare ich mir.

     

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=3944

    http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=wu&dig=2009%2F04%2F23%2Fa0095&cHash=d1d7e40d54

     

     

    @an die anderen:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=F8UUFa9Lt4Q

  • MK
    Markus Kurze

    Den Politikern pauschal Korruption vorzuwerfen ist übrigens genau so ineffektiv. Außerdem sind die freien Demokraten wohl nicht für die Gesetzgebung der letzten elf Jahre verantwortlich (und können diverse Fehlschläge aus dieser Zeit auch nicht in 100 Tagen ändern).

  • MK
    Markus Kurze

    Diese so genannte eigene Klientel stellt 70 bis 80 Prozent aller Ausbildungs- und Arbeitsplätze in der Bevölkerung. Wenn man es "Klientel"-Politik nennt, nämllich die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung, ist das fast schon zynisch.

    Ohne Zweifel gibt es auch Leistungsverweigerer in der Oberschicht, doch das ist aus reinökonomischer Sicht ein anders paar Schuhe und trägt nicht zur Lösung des Problems bei.

  • Z
    Zickenheiner

    Hartz IV, ein Instrument gegen die Menschlichkeit und Würde des Menschen, die ja eigentlich ganz am Anfang im Grundgesetz festgeschrieben ist, ist mal wieder ins Gerede gekommen.

    Aber diese Deppen ziehen es mal wieder von der falschen Seite auf, um von den Mißständen, u.a. bei den ARGEN, abzulenken.

     

    Ablenkungsbedarf gibt es ja so einigen. Seien es die getürkten Arbeitslosenzahlen, die gesteuerte Mindestlohn- Chose, die Millionen Menschen, die trotz guter Vollzeitarbeit auf Hartz IV angewiesen sind. Oder die Situation am Arbeitsmarkt, wo heute Arbeitgeber, ohne Repressalien durch den Gesetzgeber befürchten zu müssen, jeden (niedrigen) Minimallohn zahlen können, den sie nur wollen.

    "Schließlich sollte man stolz sein, wenn man überhaupt einen Job hat.", wird einem allerorten suggeriert.

     

    Wenn man sich dann fragt, wer denn an dem Ganzen eigentlich noch verdient, weil unten ja wirklich nichts mehr ankommt, dann landet man irgendwann bei Westerwelles und Merkels Klientel...

     

    Und beginnt sich irgendwann zu fragen, ob das Ganze nicht etwa System hat.

  • A
    Amos

    Um andauernd über Systemgeschädigte herzufallen reicht

    ein Spatzengehirn aus. Was will er mehr, der Westerwelle. Wenn man schon nicht weiter weiß,braucht man einen Sündenbock. Und der soll dann die Schuld für jahrzehntelange miserable Politik tragen. Als ob die

    Sündenböcke für diese "Huddel-und-Brassel- Politik verantwortlich wären. Nein! Die büßen für diese Man-kennt-sich-man-hilft-sich Politik. "Wer ständig geschmiert, ungeheures gebiert".

  • HK
    Hardy Klag

    Das was Herr Westerwelle macht ist meiner Meinung nach Volksverhetzung, und deshalb sollte man Herrn Westerwelle anzeigen. Es geht doch Herrn Westerwelle nur darum, die eingene Klientel zu schonen. Die wahren Leistungsverweigerer sitzen in ihren Villen und lesen die Kontoauszüge und überlegen wie man Steuern verkürzen kann, anstatt mal einer Arbeit nachzugehen, die Herr Westerwelle den Hartz IV Empfängern so gerne zumuten will. Für mich ist das moderne Sklaverei und Ausbeutung der schlimmsten Art.

  • DW
    David wagner

    Das mit dem Arbeiten von jungen gesunden Menschen ist kein schlechter Ansatz nur sollte man den Leuten eine ordentliche Perspektive geben.

    Ich finde aber sehr bedenklich die arbeitende Bevölkerung (die das Glück hat einen Arbeitsplatz zu haben)gegen Hartz4 Empfänger aufzuhetzen. Viel besser währe ein gesetzlich geregelter Mindestlohn.Dies schafft Zufriedenheit bei der Arbeitenden Bevölkerung im Niedriglohnsektor und bietet Jungen Menschen doch mehr Anreize zu arbeiten als die Kürzung von Geld.

  • C
    Christian

    Liebe TAZ,

     

    bei solchen Kommentaren von Herrn Westerwelle. Bitte bitte, weist doch wenigsten darauf hin, dass Leistungskürzungen, gerade bei jungen Arbeitslosen, bereits lange gängige Praxis ist!!!

    Auch ist es gängige Praxis, dass manche Jugendliche nur noch von Gutscheinen leben.

     

    Wenn Herr Westerwelle etwas fordert, was schon lange angewendet wird zeigt das doch, wie weit weg er von der Realität ist. Wie kommt so einer an so einen Posten?

  • I
    iBot

    "...forderte Guido Westerwelle Leistungskürzungen, wenn junge, gesunde Bezieher von Sozialleistungen "zumutbare Arbeiten" nicht annehmen."

     

    Äh....soweit ich weiß, gibt es dafür bereits Leistungskürzungen. Wo genau liegt der Mehrwert an Information?

  • M
    Martina

    Was Westerwelle fordert steht schon längst im Gesetz: Jugendliche unter 25 müssen jede zumutbare Arbeit annehmen, sonst wird ihnen DER GESAMTe REGELSATZ (außer Miete) für 3 Monate gekürtzt. SPD und Gründ haben schon längst geschaffen, was Westerwelle fordert. Absolut lächerlich diese Diskussion dann und traurig, dass die FDP damit Stimmen bekommt...derweil sind so viele in Gefahr, schnell auf Hartz IV angewiesen zu sein.

  • MM
    Marion Manneck

    Weserwelle und kein Ende.

    Dieser Mensch, soll sich doch mal bitte das SGB II und die internen Dienstanweisungen der Jobcenter und der Arbeitsagenturen durchlesen. Da sind die Sanktionsmöglichkeiten beschrieben. Bevor Politiker ihren Mund aufmachen, sollten sie wissen worüber sie reden. Mein Eindruck ist, dass die Bundesregierung von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts so aufgeschreckt wurde, dass einige davon nun amoklaufen. Herr Westerwelle, und alle, die jetzt meinen die Hartz IV-Sätze seien zu hoch, sollten sich darüber aufregen dass die Löhne und Gehälter zu niedrig sind.

    Hier mal polemik von mir: Politkiker sollten die Gesetze und Regelungen, die sie beschliessen, ein Jahr lang an sich selber ausprobieren.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    NICHT DIE ARBEITSLOSEN SIND FAUL; SONDERN ES IST EWTAS SEHR VIEL FAUL IM STAATE [Überjahre schiebender LEISTUNGSTRÄGER Hamlet immer nicht zur Ruhe].

    Herr Westerwelle versucht mit seiner vorwärts-verteidigenden extrem provokanten Äußerungen,

    durch Verrohung die Großkoalition zur Einführung von Hartz IV aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE nachträglich beim Wahlvolk anzubringen. Die über 80 % Wähler, deren Alltagsleben eine ganz andere Erfahrung von Arbeitslosigkeit und Arbeitslosen seit über 3 Jahrzehnten mit sich bringt, werden durch Fischen im Trüben übelster irrealer Vorurteile zum Narren gehalten - und das in der Faschingszeit.

    Dieser Großangriff auf die politischee Sitten und Verbiegung des Wahrnehmungs- und Interpretationsvermögen der Wähler in öffentliche Reden REGIERENDER, denen die reale Realität durchStatistikenn und einschlägige Forschung und Verwaltung der Arbeitslosen sogar umfangreicher flächendeckend bekannt ist,missbrauchtt das Vertrauen, das notgedrungen in einem 80 Millionen Staat diesem entgegengebracht wird. Soviel „Dialektik“ wie: Was man zur Vordertür [die Zurücknahme des Sozialabbaus, der politische adäquate parlamentarischen Ausdrucks davon sowie das Tragen der Lasten der Fehlspekulation am Finanzmarkt z.B.] herausgeschickt, wird durch die Hintertür (Gesellschaftliche Segreagation, höhere Kriminalität, „Verwilderung der Sitten“, Ansteigen der privaten Konflikte und Krisen, Pleiten, nachhaltige ökonomische Stagnation, etc....) sollte jedes Regierungsmitglied schon internalisiert haben.

    „Nach uns die Sinflut“ ist wohl stattdessen die Devise. Die Umbenennung in Klimakatastrophe

    bringt die Verschiebung des Wissens um die eigene Untaten de Hartz IV Koalitionäre an den Tag.