Hartz-IV-Sätze steigen kaum: Erhöhung kleingerechnet
Nicht einmal 20 Euro mehr können die gut 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger erwarten. Doch die Neuberechnung der Koalition muss erst noch den Bundesrat passieren.
BERLIN dpa/dapd | Die Hartz-IV-Unterstützung für Langzeitarbeitslose soll nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur nur geringfügig steigen. Darauf haben sich die Ministerpräsidenten der Union mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verständigt. Angestrebt wird eine Erhöhung, die deutlich unter 20 Euro liegen soll. Derzeit beträgt der Hartz-IV-Regelsatz 359 Euro im Monat. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält nach eigenen Berechnungen eine Anhebung auf bis zu 420 Euro für erforderlich.
Am Sonntag kommt der Koalitionsausschuss von Union und FDP in Berlin zusammen. Dabei will sich das Regierungslager auch auf die künftigen Hartz-IV-Regelsätze verständigen. Das Verfassungsgericht hatte im Februar eine transparentere Neuberechnung verlangt. Das Gesetz, das Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dazu vorbereitet, muss allerdings auch vom Bundesrat gebilligt werden. Dort hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte eine deutliche Erhöhung der Unterstützung. "Nach unseren Berechnungen muss der Hartz-IV-Regelsatz über 400 Euro liegen", sagte Nahles der Rheinischen Post. "Alles andere ist künstlich heruntergerechnet." Das Vorhaben von Union und FDP, die neuen Hartz- IV-Regelsätze am Sonntag im Koalitionsausschuss festzulegen, bezeichnete Nahles als "Geschacher auf dem Rücken der Schwächsten".
Die Kanzlerin war wie üblich am Vorabend der Bundesratssitzung mit den Länder-Regierungschefs der Union zusammengekommen. Nach den Absprachen sollen künftig die Ausgaben für Alkohol und Tabak aus der Berechnung des Grundbedarfs für Hartz-IV-Empfänger herausgenommen werden, hieß es. "Es wird keine 40 Euro mehr geben. Die Anhebung wird weit unter der Hälfte dieses Betrags liegen", sagte ein Teilnehmer der Gesprächsrunde. Die unionsregierten Länder sagten der Kanzlerin zu, dass sie Mehrkosten für neue Hartz-IV-Sätze mittragen werden.
Die Haushaltspolitiker der Koalitionsfraktionen verlangen, dass notwendige Mehrausgaben wegen der Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze durch Einsparungen an anderen Stellen im Etat des Arbeitsministeriums erbracht werden. Dies sagte der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Norbert Barthle (CDU), der Berliner Zeitung.
Als "frisches Geld" stünden nur die 480 Millionen Euro zur Verfügung, die im Haushalt für die Bildungsförderung von Kindern von Langzeitarbeitslosen vorgesehen ist, sagte Barthle weiter. Auch der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Otto Fricke, forderte, dass von der Leyen eventuelle Mehrausgaben aus dem eigenen Haushalt stemmen müsse. Er bezog dabei auch die Ausgaben für die von der Ministerin angestrebte Bildungs-Chipkarte ein.
Die Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom Februar verlangt, bei der Neuberechnung insbesondere auch die Bedürfnisse der Kinder von Langzeitarbeitslosen zu berücksichtigen. Dabei geht es nicht nur um Bildungskosten wie notwendige Nachhilfe, sondern auch um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gleichaltriger Kinder, wie Mitgliedschaft in Sportvereinen oder Schwimmbad- und Museumsbesuche. Die nach dem Urteil von der Koalition dafür vorgesehenen 480 Millionen Euro wurden in einem Sonderhaushalt von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geparkt.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte die Regierung erneut vor einer "politisch willkürlichen Entscheidung" bei den neuen Regelsätzen. Dies würde "im Ergebnis erneut zu einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, der Leipziger Volkszeitung. Eine "korrekte Neuberechnung" nach den Vorgaben des Gerichtes müsse zu einer deutlichen Steigerung führen. Ein Regelsatz unter 400 Euro "wäre mindestens erstaunlich, wenn nicht kleingerechnet".
Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat die Sparmaßnahmen der Bundesregierung bei HartzIV-Empfängern gerügt. Bei der Abschlusspressekonferenz der Herbst-Vollversammlung am Freitag in Fulda nannte es deren Vorsitzender Robert Zollitsch "sinnvoll und wünschenswert", dass auch die Bezieher höherer Einkommen einen größeren Beitrag zur Schuldeneingrenzung leisten. Konkret nannte er den Spitzensteuersatz, die Erbschaftssteuer sowie Subventionen. "Kritisch zu beurteilen ist die Streichung des Elterngeldes für Hartz IV-Empfänger, sagte Zollitsch. Schon bei der Einführung des Elterngeldes seien einkommensschwachen Eltern die Verlierer gewesen.
Das CSU-Präsidium hatte sich dagegen am Donnerstag gegen eine zu starke Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze ausgesprochen. Eine Koppelung an die Entwicklung der Löhne und Preise - wie sie von der Leyen plant - hält CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt für nicht sachgerecht, weil dies die Rentner benachteilige. "Bei der Neuregelung von Hartz IV dürfen nicht die Regelsätze auf die Überholspur gesetzt werden, und die Renten bleiben auf der Standspur", sagte Dobrindt.
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