: Hart bleiben für die Existenz
Die IG Metall muss die Einhaltung der Tarifverträge erzwingen. Sonst droht ihr der Bedeutungsverlust
HANNOVER taz ■ Jürgen Peters hat gesprochen. Die Zumutbarkeitsgrenze für die IG Metaller hatte deren Vorsitzender schon vor der Wiederaufnahme der Verhandlungen mit DaimlerChrysler markiert. Im Konflikt um das vom Vorstand angedrohte 500-Millionen-Sparprogramm wolle man zwar „einen tragfähigen Kompromiss“, ließ Peters gestern erklären. Einen Eingriff in den Tarifvertrag dürfe es dabei jedoch nicht geben.
Allzu groß erschienen die Aussichten auf eine Einigung damit nicht, als gestern Mittag in der Daimler-Zentrale die Verhandlungen zwischen Unternehmensleitung, Betriebsrat und Gewerkschaft wieder aufgenommen wurden. Schließlich sind zumindest die fünf Minuten Pause pro Stunde für die Bandarbeiter und die höheren Schichtzuschläge, die dem Daimler-Management als baden-württembergische Krankheit gelten, in Tarifverträgen festgeschrieben. Und eine Gewerkschaft, die die Einhaltung von Tarifverträgen nicht mehr erzwingen kann, droht in den Augen ihrer Mitglieder ihre Existenzberechtigung zu verlieren.
In den Belegschaften der großen Autokonzerne erreicht die IG Metall ihre höchsten Organisationsgrade. Die VW-Beschäftigten etwa gehören fast geschlossen der Gewerkschaft an. Deswegen gehen die Sparprogramme, denen sich DaimlerChrysler und Volkswagen verschrieben haben, nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für die Gewerkschaft ans Eingemachte. Finanzielle Einbußen drohen allerdings aktuell nur den DaimlerChrysler-Beschäftigten in Baden-Württemberg. Die IG-Metall-Bezirksleitung in Stuttgart hat etwa errechnet, dass allein durch den Einsparbeitrag von 180 bis 200 Millionen Euro im Jahr, den der Betriebsrat dem Unternehmen bereits angeboten hat, die Einkommen der Arbeiter in der Produktion um 2,8 Prozent sinken würden. Gegenwärtig liegen nach Angaben von IG-Metall-Sprecher Frank Stroh bei brutto 2.600 bis 2.700 Euro im Monat. Würden die gesamt 500 Millionen Euro auf Kosten der Entlohnung eingespart, müssten sie demnach um rund acht Prozent sinken.
Gleich um Einsparungen um 30 Prozent scheint es sogar auf den ersten Blick bei den Entgelten der Beschäftigten der deutschen VW-Werke zu gehen. Bei den Ankündigungen von VW-Personalvorstand Peter Hartz sollte man allerdings genau hinhören. Erst bis 2011 will Hartz nämlich die Personalkosten um 30 Prozent senken und so die 176.544 Konzern-Arbeitsplätze von VW Deutschland sichern. Das heiße allerdings nicht, dass es „um individuelle Gehalts- und Entgeltkürzungen geht“, wie VW-Sprecher Stefan Ohletz gestern noch einmal unterstrich. Vor allem will der VW-Personalchef die Arbeitskosten durch eine erhöhte Produktivität, also durch höherer Wertschöpfung pro Stunde senken. Gedacht ist dabei etwa an die Einführung einer demografischen Arbeitszeit, bei der Jüngere länger arbeiten sollen, um in späteren Jahren kürzer treten zu können. Außerdem könnte es in der Produktion so genannte „Job-Familien“ und damit einen einfacheren Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeiten geben. Und nicht zuletzt will Volkswagen die Arbeitszeit weiter flexibilisieren. Die 200 Stunden, die die Arbeiter vor- oder nacharbeiten können, will das Unternehmen gleich verdoppeln. Eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit soll damit nach Angaben von VW-Sprecher Ohletz allerdings nicht verbunden sein.
Anders als bei Daimler in Baden-Württemberg stehen die Einsparungen oder Rationalisierungsmaßnahmen bei VW auch nicht aktuell auf der Tagesordnung. Um sie wird es gehen, wenn im September regulär über den VW-Haustarifvertrag verhandelt wird. Die IG Metall erwartet bei VW eine schwierige Tarifrunde. Das Unternehmen befinde sich in einer schlechteren Situation als in den vergangenen Jahren, sagt der hannoversche IG-Metall-Bezirksleiter Hartmut Meine. Man wolle dennoch „mit allen gewerkschaftlichen Mitteln in die Tarifrunde“ starten. Man habe „die Mittel, um der Gegenseite auch Beine zu machen“. Gegenwärtig verdient man in der Produktion in Wolfsburg etwa jene 2.700 Euro im Monat, die auch bei Daimler in Sindelfingen gezahlt werden. JÜRGEN VOGES