piwik no script img

Archiv-Artikel

crime scene Harmloses, Reales

Die meisten deutschen Krimis scheitern an der Harmlosigkeit ihrer Ermittler. Vor zwei Jahren war Christian von Ditfurth diesem Problem in seinem „Mann ohne Makel“ noch geschickt ausgewichen. Während der Hamburger Historiker Stachelmann in einen Mordfall hineingezogen wurde, dessen Spur ins „Dritte Reich“ führte, entdeckte er, dass sein Vater sich einst dem Hitler-Regime als Hilfspolizist angedient hatte. Von Ditfurth stattete seinen ansonsten etwas blassen Akademiker Stachelmann so mit einem persönlichen Drama aus, das den „Mann ohne Makel“ zu einem abgründigen Roman machte.

Jetzt ist „Mit Blindheit geschlagen“ erschienen, der zweite „Stachelmann“, in dem der Historiker ganz in seiner Rolle als Gelegenheitsdetektiv aufgeht. Er stolpert über eine Leiche und muss feststellen, dass auch dieses Verbrechen seinen Ursprung in der deutschen Geschichte hat: Es geht um Fluchthelfer, Stasi-Spitzel und brutale Führungsoffiziere, alles, was die DDR zu bieten hatte. Darüber hinaus muss man sich allerdings schon sehr für akademische Sinnkrisen begeistern, um dem antriebslosen Dr. Stachelmann, der mit seiner Habilitation nicht zu Rande kommt und der gescheiterten Beziehung mit einer Kollegin hinterherweint, als Serienheld etwas abgewinnen zu können.

Auch Roman Rausch beschwört in „Wolfs Brut“ die Geister der untergegangenen DDR. Am Rand einer internationalen Konferenz in Würzburg taucht eine CD-ROM mit ergänzendem Material zu den berüchtigten Rosenholz-Dateien auf. Die CIA, der Verfassungsschutz und ein ehemaliger Mitarbeiter der DDR-Auslandsaufklärung, der auffallend Konrad Wolf ähnelt, leisten sich einen erbitterten Kampf um die Daten. „Wolfs Brut“ ist über weite Strecken ein actiongeladener Agententhriller, doch leider begibt sich Rausch auch immer wieder in die Niederungen des Regionalkrimis. Spätestens die Würzburger Mundart zieht die eigentlich toughe Story ins Lächerliche: „Könne mir deen gar nix aus dere G’schicht mach?“ So auf jeden Fall nicht.

Oliver Bottini ist es dagegen dankbarerweise gelungen, sein Debüt „Mord im Zeichen des Zen“ in Freiburg anzusiedeln, ohne seine Leser mit tieferen Einsichten in die badische Seele zu beglücken. In einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt wird ein asiatischer Mönch aus einem benachbarten Zen-Kloster ermordet aufgefunden. Die auf den ersten Blick leicht unsympathische Kommissarin Louise Boní von der Freiburger Kriminalpolizei beginnt mit den Ermittlungen, die sie allerdings, wie sich bald herausstellt, offiziell nicht zu Ende führen soll. Ihren Vorgesetzten und Kollegen waren die notdürftig versteckten Flaschen, der Geruch, unerklärliche Stimmungsschwankungen und „gewisse, äh, Teintprobleme“ schon länger aufgefallen. Boní trinkt, und ausgerechnet jetzt wird sie deswegen vom Dienst entbunden.

Natürlich versucht die Kommissarin, die mit ihrer Vorliebe für Jägermeister und sehr viel jüngere Männer nicht unbedingt der „Tatort“-Norm entspricht, dem Geheimnis des asiatischen Mönchs auch nach der angeordneten „Krankschreibung“ auf die Spur zu kommen. Im Laufe des Romans treten die Ermittlungen jedoch immer mehr hinter Bonís eigenen „Fall“ zurück. Die Polizistin ist in erster Linie Alkoholikerin – und lebt in ihrer ganz eigenen Welt. Sie muss das Zittern ihrer Hände verbergen, verräterisches Altglas geräuschlos entsorgen und ihre nächtlichen Einkaufstouren durch die Tankstellen verschleiern. Oliver Bottini beschreibt die Rituale dieser Welt erschreckend präzise, und so wird „Mord im Zeichen des Zen“ zu einem Ausnahmekrimi. Er erzählt von der Wirklichkeit. Und die Wirklichkeit ist niemals harmlos. KOLJA MENSING

Oliver Bottini: „Mord im Zeichen des Zen“. Scherz, Frankfurt am Main 2004, 367 Seiten, 14,90 Euro Christian von Ditfurth: „Mit Blindheit geschlagen. Stachelmanns zweiter Fall“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 411 Seiten, 19,90 Euro Roman Rausch: „Wolfs Brut. Ein Fall für Kommissar Kilian“. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004, 319 Seiten, 8,90 Euro