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■ Haris Silajdžić zu den Chancen des FriedensprozessesBosnien soll nicht nur ein Name sein

taz: Trotz aller Friedensbemühungen scheint der Krieg wieder in eine heiße Phase zu treten. Seit Mittwoch sind von serbischer Seite aus Granaten und Raketen auf die zentralbosnischen Städte Zenica und Travnik abgefeuert worden, bosnische Regierungstruppen setzen Angriffe in Westbosnien fort. Soll der Friedensprozeß zum Scheitern gebracht werden?

Haris Silajdžić: Die serbische Seite sucht nach Wegen, den Friedensprozeß zu stoppen. Sie antworten auf die Friedensbemühungen mit Angriffen auf Zivilisten.

Aber die bosnisch-serbische Führung kann doch mit dem New Yorker Vorschlag mehr als Ihre Regierung zufrieden sein.

Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem, was die bosnische serbische Führung sagt, und dem, was sie tut. Eigentlich hofft sie darauf, daß die internationale Gemeinschaft zu dem alten Konzept der Neutralität zurückkehrt. Sie fürchtet die Aussicht, daß wir immer stärker und sie immer schwächer werden. In Serbien selbst wächst die Stimmung, sich nicht mehr weiter wegen der bosnisch-serbischen faschistischen Sekten ruinieren zu lassen. Und die internationale Gemeinschaft will eine Lösung, die aus der innenren Dynamik resultiert.

Das spräche ja dafür, daß die Serben doch gar nicht so unzufrieden sein können. In dem New Yorker Abkommen wird einerseits der bosnisch-herzegowinische Staat in seinen Grenzen noch einmal bestätigt. Dann jedoch werden „Entitäten“ zugelassen, was nichts weiter heißt als ein serbischer Staat auf bosnischem Boden.

Dieser Plan gibt nur einen Rahmen vor. Es kommt darauf an, ihn zu konkretisieren, die Details auszuarbeiten. Bosnien-Herzegowina bleibt bestehen, nicht nur als Name, sondern als souveräner Staat. Es werden weiterhin die Institutionen, die die Souveränität ausmachen, wie das Parlament, der Präsidentschaftsrat und die Regierung aufrechterhalten.

Wie kann aber die „serbisch-faschistische Sekte“, wie Sie sie beschreiben, dazu gebracht werden, diesen Rahmen zu akzeptieren?

Deshalb haben wir auf dem Prinzip der direkten Wahl bestanden. Denn dies ist die Essenz der Demokratie, die wir gewahrt wissen wollen. Das Regime in Belgrad hat den Vorschlag abgelehnt. Wir wollen freie und vor allem geheime Wahlen, die unter internationaler Aufsicht stattfinden. Dann werden die Leute auch keinen Krieg mehr führen. Nur die verhärteten faschistischen Sekten wollen dies, denn die brauchen den Krieg, sie erlangen Macht und Reichtum im Krieg, ohne den Krieg sind sie nichts. Im Statement, das dem Rahmenabkommen von New York beigefügt ist, sind direkte und freie Wahlen vorgesehen. Allerdings ist die Formulierung „freie und demokratische“ Wahlen“ problematisch, so hieß die Formulierung in der kommunistischen Zeit mit den Resultaten um 99 Prozent. Es muß direkte und geheime Wahlen geben. Wir bestehen auf klaren Prozeduren.

Ist das nicht naiv?

Das müssen Sie beurteilen. Die Etablierung demokratischer Verhaltensweisen gehen sogar über Wahlen hinaus. Wir müssen lernen, Bürgerbewegungen zu akzeptieren, direkte Elemente der Demokratie zu fördern. Es muß in der Zukunft mehr Transparenz der Entscheidungen geben. Das ist ein wichtiges Element für die Zukunft unseres Landes.

Zukunftshoffnungen sind eine Seite, die Realität des fortdauernden Krieges eine andere ...

Wir haben immer noch Probleme, die nur militärisch gelöst werden können. Solange der Friedensplan nicht gültig ist, hat unsere Armee die Aufgabe, jeden Quadratzentimeter unseres Landes zurückzuerobern. Es ist eine legale Armee, und wir sind eine legale Regierung. Unsere Armee soll mit der Befreiung des Landes so lange fortfahren, bis ein Abkommen unterzeichnet ist. Die serbischen Terroristen haben alle Friedenspläne, so auch den letzten, seit 30 Monaten abgelehnt. Die „coercive diplomacy“ ist ein interessanter Begriff. Aber Diplomatie sollte nicht stets mit Zwang verbunden sein.

Stützen die USA diese Position?

Ich habe sie nicht gefragt.

Im zurückeroberten Jajce gab es Schwierigkeiten mit den Kroaten aus der Westherzegowina. Ist nicht ein Konflikt mit den kroatischen Extremisten vorprogrammiert?

Das ist Ihr Statement.

Wie steht es mit der Deblockierung von Sarajevo und Goražde?

Sarajevo ist immer noch belagert. Die Zufahrtswege sollten von internationalen Truppen kontrolliert werden, keinesfalls jedoch von serbischen Truppen. Die gilt auch für die Straßenverbindung nach Goražde. Dann wäre Sarajevo nur noch eine zum Teil belagerte Stadt, nicht eine völlig belagerte Stadt, so wie jetzt. Dies ist eine mittelalterliche Methode der Belagerung, die mit Mitteln des 20. Jahrhunderts durchgeführt wird.

Die Lehre aus dem Faschismus war: So etwas darf nie wieder geschehen. Statt dessen sind wir in Sarajevo diesem Monster aus Stalinismus und Faschismus ausgesetzt. Dreieinhalb Jahre lang hat der Westen eine indifferente Beobachtungsfunktion wahrgenommen. Er hat eine großartige Technologie des watching entwickelt, statt zu handeln.

Jetzt soll immerhin Bosnien- Herzegowina mit dem New Yorker Vertragsentwurf in den Westen integriert werden.

Ja, vielleicht haben manche bemerkt, daß Bosnien-Herzegowina für den Bestand westlicher Werte von zentraler Bedeutung ist. Bosnien ist zum Mikrokosmos unserer Welt geworden, Bosnien ist ein Symbol dafür, daß die Versöhnung zwischen Islam und dem Westen bisher gescheitert. Die Menschen von Lahore sprechen von Bosnien wie über ihr Kaschmir-Problem in ihrem eigenen Land. Sie mögen nicht einmal wissen, wo Bosnien liegt.

Das zeigt, wie sehr Bosnien zu einem Symbol geworden ist. Denn über Bosnien kreuzen sich die Probleme der Weltgesellschaft: Wenn es nicht hier zu einer Versöhnung zwischen dem Islam ud dem Westen kommt, wo dann?. Wenn es nicht hier zu einer Verteidigung der Demokratie kommt, wo sonst? Wenn Demokratie in Bosnien nicht erreicht werden kann, wird sie auch sonst in Osteuropa scheitern. Wenn multikulturelles Leben hier nicht möglich ist, wie können wir in Europa erwarten, daß die Probleme, die Europa mit dem Nationalismus hat, gelöst werden?

Bosnien hat ein schlechtes timing. Was hier geschieht, fällt zwischen zwei Epochen. Die Welt war durch den Ost-West-Gegensatz bestimmt, gegenwärtig sind wir in einer Transformationsphase, ohne ein neu festgelegtes und anerkanntes System internationaler Konfliktlösung. Es kommt in dieser Zeit darauf an, daß internationale Konfliktregelungen über die Gesetzlosigkeit triumphiert. Hoffentlich. Interview: Erich Rathfelder/

Hajo Funke, Sarajevo 29. 9. 95

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