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Archiv-Artikel

Hannovers WM-Abschied Ballermann-Fiesta am Kröpke

Würstchen brutzeln, rot-gelbe Flaggen flattern, Gesichtsbemalungen werden aufgelegt: Das Ufer des Maschsees hat sich vor lauter spanischen Wohnmobilen in einen Campingplatz verwandelt. Wenige hundert Meter entfernt im Stadion wollen die Spanier in ein paar Stunden Zinedine Zidane in Fußballer-Rente schicken. Das letzte von fünf WM-Spielen in Hannover steht bevor – und auch bei den friedlichen Campern aus dem Baskenland oder Asturien deutet an diesem Nachmittag nichts auf eine Störung der großen Fußball-Party hin. Zum letzten Mal weht der WM-Geist über der Stadt an der Leine. Die Südkoreaner haben in der Fußgängerzone Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ geschmettert, Angolaner in einem Bierzelt Fan-Schals verschenkt, die Polen wurden von Schülern aus der List mit ihrer eigenen Nationalhymne begrüßt. Aber das Achtelfinale gegen Frankreich ist wohl der Höhepunkt des WM-Spektakels in Hannover: Hier wohnen nicht nur 3.000 Spanier, es gibt eine relativ hohe Tapas-Bar-Dichte, Rot-Gelb hatte die Stadt überhaupt gestern voll im Griff.

Als „Schlafwagenfußball“ hatten die Zeitungen ihr Team nach dem letzten Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien verflucht, obwohl die Jungs um Raúl mit neun Punkten und 8:1 Toren Vorrunden-Weltmeister wurden – aber heute geht es sozusagen um die Chorizo, die spanische Paprikawurst. Die City wird schon mittags zur Fiesta-Zone. Am Kröpke herrscht Ballermann-Stimmung. Flamenco dröhnt aus einem Kleinbus aus Kantabrien. Fans spielen mit spanischen Flaggen Stierkampf mit einem der wenigen französischen Fans. Es geht durchaus deftig zu: „Napoleón era maricón!“ („Napoleon war ein Schwuler“) ist einer der freundlichsten Schlachtrufe.

Auch Ministerpräsident Christian Wulff wagt sich auf den mit spanischen Fahnen behängten WM-Tower am Kröpke. Gerade hat der einst beliebteste Politiker Deutschlands in einer Buchhandlung eine kärglich besuchte Signierstunde für sein Buch „Der Marathon-Mann“ samt hochnotpeinlicher Fragen über sein gescheitertes Eheleben über sich ergehen lassen müssen – da kommt das Bad in der Menge richtig. Der CDU-Mann worthülst „der Bessere soll gewinnen“ und „ich freue mich auf das Spiel“, der Mob schreit ihm „Langweiler!“ und „Rücktritt!“ entgegen. Alles nur Spaß. Und Wulff lächelt, er hat nichts verstanden. „War das der Bürgermeister?“, fragt Vicente, ein 34-jähriger Bankkaufmann aus Valencia. Er tippt für das Spiel auf ein 3:1. Und darauf, dass Deutschland die WM gewinnt: „Ihr habt den Heimvorteil.“ Und klar, die WM-Stimmung hier sei „una maravilla“, also einfach wunderschön.

Wulff hat den Schmäh eigentlich nicht verdient: Obwohl die Franzosen, die in Hameln wohnen, die letzte Mannschaft mit Quartier in Niedersachsen sind, hält er für die Spanier: „Die haben die besseren Spieler. Ich tippe auf 2:1.“ Am Abend wird er im Stadion ein Riesen-Promi-Aufgebot zu begrüßen haben: Angeblich wollen neben dem unvermeidlichen Franz Beckenbauer auch Gérard Depardieu, Catherine Deneuve, Diego Maradona und der russische Öl-Milliardär Roman Abramowitsch kommen – ihm gehört Michael Ballacks neuer Club Chelsea. Auch europäischer Hochadel hat sich angesagt: Um 19.30 Uhr wollen der spanische Kronprinz Felipe und seine Frau Letizia mit einem Privatjet auf dem Flughafen in Langenhagen landen, pünktlich zum Spiel. Aber für einen Eintrag ins golden Buch der Stadt reicht’s nicht: Das Prinzenpaar soll am gleichen Abend wieder gen Madrid düsen.Kai Schöneberg