Hannover punktet gegen THW Kiel: Ganz nah am Handball-Wunder
Die TSV Hannover-Burgdorf holt gegen den sonst übermächtigen THW Kiel ein Unentschieden und könnte die Kieler damit die Meisterschaft kosten.
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass dieser 26. von 34 Bundesliga-Spieltagen als Meilenstein in Erinnerung bleibt. Die Mehrheit der 9.900 Zuschauer in Hannover war gekommen, um ein kleines Wunder mitzuerleben. Was Ziemer und Co. bei der Punkteteilung vollbracht haben, darf als solches bezeichnet werden. „Das war ein schwerer Schlag“, gestand der Kieler Cheftrainer Alfred Gislason. Sein Team hat im Wettrennen um die Meisterschaft im Duell mit den Rhein-Neckar Löwen wichtigen Boden verloren. Weil es zu behäbig agiert und fast die gesamte Partie über zurückgelegen hatte. Weil es einen ersatzgeschwächten Gastgeber zu spät ernst nahm. Und weil ein Mann namens Ziemer im Schweiße seines Angesichts so mitreißend glänzen konnte.
Der THW hat eigentlich keine Gegner
Einen neuen Hauptsponsor hat der THW Kiel am vergangenen Dienstag vorgestellt: Die Star-Tankstellen werden ihr Logo in den kommenden drei Spielzeiten auf den Kieler Trikots zeigen.
Die Firma mit Sitz in Elmshorn hat im Norden Deutschlands über 570 Tankstellen und gehört zum polnischen Orlen-Konzern, der auch den Klub Wisla Plock sponsort.
Eine hohe sechsstellige Summe zahlt Star, bei einem Gesamtetat von aktuell etwa 9,5 Millionen Euro. THW-Geschäftsführer Thorsten Storm sagt, der Vertrag „verbessert unsere Situation deutlich“.
Eine Ära endet damit in Kiel: 38 Jahre lang war die Provinzial-Versicherung Hauptsponsor des THW. Sie bleibt auch künftig im Sponsorenpool der Kieler.
Eigentlich, so glauben es Traditionalisten, hat der Branchenprimus Kiel auf nationaler Ebene keine Gegner. An diesem Ostersonntag aber wurde das Gegenteil bewiesen. Die TSV Hannover-Burgdorf war extra von ihrer gemütlichen Halle am Maschsee in diese gigantische Arena auf dem früheren Expo-Gelände umgezogen. Der Versuch, möglichst viel Geld und Ruhm einzuheimsen, ist eindrucksvoll geglückt.
„Meine Mannschaft hat sich zerrissen“, befand Hannovers Trainer Jens Bürkle. Sein Team zeigte sich am Ende sogar sauer darüber, nur einen Punkt gewonnen zu haben. Der Sieg war, weil der Außenseiter ständig und zum Teil mit vier Toren Vorsprung geführt hatte, tatsächlich zum Greifen nahe. Es blieb auf Kieler Seite das Verdienst von Torjäger Christian Dissinger, der elf Mal traf, und Schlussmann Niklas Landin, dass ein Remis entstand.
Trotz und Frust waren spürbar, als nach der Schlusssirene das passierte, was den bezahlten Handball deutlich vom in Deutschland dominierenden Profifußball unterscheidet: Die Fans hatten das Spielfeld behutsam gestürmt, um sich Fotos und Autogramme von Männern zu sichern, mit denen sich ganz normal sprechen lässt. Die Nähe, die die Sportart Handball zwischen ihren Protagonisten und der Kundschaft zulässt, ist verblüffend und entschuldigt so manches.
Verpasste Titel sind nicht vorgesehen
Dass der THW Kiel nach dem Punktverlust über vermeintlich falsche Schiedsrichterentscheidungen motzte, passt eigentlich nicht zu seinem Status und seiner Größe. Aber so manche Unhöflichkeit, die sich THW-Trainer Gislason nach dem Spiel erlaubte, lässt eben auch erahnen, unter welchem Erfolgsdruck er beim Serienmeister steht.
Dass Kiel die Meisterschaft verpasst, ist in den saisonalen Planspielen das 20-fachen Titelträgers eher nicht vorgesehen. Aber der erfolgsverwöhnte THW muss eben auch regelmäßig erleben, wie sich aufmüpfige Konkurrenz gegen ihn ins Zeug legt, als gäbe es kein Morgen. Und am Ende sollte diese Sportart im Fernduell mit König Fußball dankbar sein, wenn sie ohne einen alles beherrschenden Krösus à la FC Bayern München auskommt.
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