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Hannover am BodenAus der Bahn geworfen

Hannover 96 kann sich seit dem Tod von Torhüter Robert Enke nicht mehr aufrappeln. Nach einer 0:3-Niederlage gegen Hertha BSC steht Trainer Andreas Bergmann vor dem Aus.

"Es spielt sich eine ganze Menge im Kopf ab", sagt Andreas Bergmann, der Trainer. Bild: dpa

HANNOVER taz | Er wollte nur noch weg. Als einer der Ersten verließ Arnold Bruggink, Spielmacher und Kapitän von Hannover 96, nach einem erschreckend hilflosen 0 : 3 (0 : 2) gegen den Tabellenletzten Hertha BSC Berlin das Niedersachsenstadion. Bruggink ist auf dem Platz technisch beschlagen, hat den Blick für den richtigen Moment und die richtige Zeit. Gleichzeitig, so ein immer wiederkehrender Vorwurf, sei er zu langsam.

Diesmal kam Bruggink allerdings auch nach dem Schlusspfiff nicht recht von der Stelle. Vor dem Stadion hielt er lange inne, seine Blicke waren ungläubig, fast schon ein wenig ohnmächtig. Denn eine Erklärung für das, was sich nach dem immer noch wirkenden Freitod von Torhüter Robert Enke im November bei Hannover 96 abgespielt hat, hat er nicht. Es sah so aus, als wollte er fliehen, ohne wirklich fliehen zu können.

"Ich habe nicht das Gefühl, dass wir verstanden haben, worum es geht", sagte Bruggink, "wenn man keine Punkte holt, steigt man ab." Er wirkte abwesend, auch wenn das, was er sagte, nach nur einem Punkt aus den letzten sechs Partien und der Annäherung an das Tabellenende, durchaus richtig war.

Der schmerzliche Verlust von Enke beschäftigt die seit dem auch sportlich orientierungslos wirkende Mannschaft offenbar noch immer. Die anhaltende Trauer und die vielen Niederlagen scheinen sich zu verselbständigen. Alles hängt mit allem zusammen. Die Spieler wirken gefangen in einer Situation, aus der sie nur dann ausbrechen können, wenn sie wieder erfolgreiche Ergebnisse erzielt.

Die erzielen sie aber nicht. "Es spielt sich eine ganze Menge im Kopf ab", sagt Andreas Bergmann, der Trainer. "Wir haben momentan nicht die mentale Stärke, das zu zeigen, was wir können. Ein kleiner negativer Einfluss reicht momentan aus, um uns zu verunsichern."

Aber genau das darf nicht sein in dem schnelllebigen Geschäft, das nur Tore, Punkte und Millionen kennt. Deshalb spricht kaum noch einer öffentlich über die Geschehnisse im November und darüber, wie es ist, wenn einer plötzlich nicht mehr da ist. Auch wenn viele vielleicht gerne reden würden, gerne gesehen wäre es nicht. Nach den ernüchternden Ergebnissen vor Weihnachten, der durchwachsenen Vorbereitung, so haben es Präsident Martin Kind und Sportdirektor Jörg Schmadtke immer wieder betont, dürfe dies nicht mehr als Ausrede gelten.

Aber wie sollen die Spieler eine gesunde Distanz zu den Ereignissen finden, wenn gerade einmal acht Tage zwischen dem letzten Hinrundenspiel und dem Beginn der Vorbereitung liegen - und danach alles so sein soll wie immer. Die Mannschaft muss funktionieren. Aber so funktioniert das nicht.

Andreas Bergmann ist ein außergewöhnlich authentischer Trainer, der diese unglaublich schwierige Situation im Kreis der Mannschaft erlebt, selbst Gefühle gezeigt hat, die Empfindungen der Spieler wie vielleicht kein anderer im Verein kennt, auf sie einwirken kann - und nun nach den Regeln des Geschäfts heftig in der Kritik steht. So wie es aussieht, wird die nächste Partie gegen Mainz für ihn zum Schicksalsspiel. Verliert das Team, dürfte Bergmann seinen Posten verlieren.

"Ich weiß, dass der Druck da ist, erst recht, wenn der Erfolg nicht da ist", sagte Bergmann. "Wir brauchen Zeit, die Dinge zu bewerten. Es bringt nichts, eine Entscheidung aus der Emotion heraus zu treffen", sagte Schmadtke. In erster Linie ist es aber die Mannschaft, die Zeit braucht. Das ist ihm hoffentlich bewusst.

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1 Kommentar

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  • R
    Robert

    Liebe taz!

     

    Als 96-Fan muss ich einerseits den Artikel loben: Er spiegelt die empfundene Gemütslage bei 96 (leider) gut wider.

    Andererseits muss ich die Überschrift kritisieren, wenn in dem Artikel der Schienensuizid Robert Enkes in der Weise thematisiert wird. Das hat einen zynischen Beigeschmack...