piwik no script img

Hannelore Elsner"Ich war grauenvoll"

Schauspielerin Hannelore Elsner im taz-Gespräch darüber, wie es ist, sich im Kino zu sehen, über die Angst vor einem Blackout und die Versöhnung mit sich selbst.

"Ich bin nicht austauschbar": Schauspielerin Hannelore Elsner Bild: dpa

taz: Frau Elsner, in Ihrem neuen Film "Vivere" verliert die Figur, die Sie spielen, ihren Job. Als sie ihren Ausstand gibt, sitzt auf ihrem Platz schon eine Kollegin, die so tut, als hätte sie dort schon immer gesessen. Für wie austauschbar halten Sie sich als Schauspielerin?

Hannelore Elsner: Ich bin nicht austauschbar. Wenn eine andere Schauspielerin die Gerlinde gespielt hätte, wäre es ein anderer Film geworden.

DAS IST HANNELORE ELSNER

Geboren am 26. Juli 1942 als Hannelore Elstner in Burghausen (Bayern), aufgewachsen in München, dort auch Besuch der Schauspielschule. Spielte danach Theater in München und Berlin.

Filmdebüt an der Seite von Freddy Quinn in "Freddy unter Sternen". Auftritte in einigen "Lümmel von der ersten Bank"-Filmen. Internationaler Durchbruch 1975 mit "Berlinger - ein deutsches Abenteuer" unter der Regie ihres damaligen Lebensgefährten Alf Brustellin.

Bis zu ihrem furiosen Comeback mit Oskar Roehlers "Die Unberührbare", wofür sie 2000 mit dem Deutschen Filmpreis, dem Deutschen Kritikerpreis und dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, spielte Elsner zahlreiche Rollen in TV-Filmen und -Serien wie "Die Kommissarin" (1995). 2003 wurde sie erneut mit dem Deutschen Filmpreis geehrt für "Mein letzter Film" (Regie: Oliver Hirschbiegel). 2006 erhielt sie den Bayerischen Fernsehpreis für ihr Lebenswerk.

Hannelore Elsner war zweimal verheiratet und hat einen 1981 geborenen Sohn aus einer Beziehung mit dem Regisseur Dieter Wedel.

Aber gedreht worden wäre der Film trotzdem.

Grundsätzlich haben Sie recht. Wenn ein Film unbedingt gedreht werden soll und ich nicht kann, spielt die Rolle eine andere. Ist doch klar. Aber in diesem Fall war die Rolle für mich geschrieben. Die Regisseurin wollte mich und niemanden sonst. Das hat mich so ergriffen, dass ich unbedingt dabei bleiben wollte. Es dauerte ja vier Jahre, bis der Film verwirklicht werden konnte.

Der Regisseur Oliver Hirschbiegel, mit dem Sie "Mein letzter Film" gedreht haben, hat über Sie gesagt, dass Sie jeden Morgen verzweifelt am Drehort erschienen wären - in der festen Überzeugung nichts mehr zu können. Das klingt ein bisschen kokett. Andererseits haben Sie in einem Interview gesagt: "Mein Gott, dass ich gut bin, weiß ich jetzt allmählich!" Wie passt das zusammen?

Wenn Sie das so rauspicken und aufspießen, passt das natürlich überhaupt nicht zusammen. Wie furchtbar! Wenn ich hier so nebenbei sagen würde, mein Gott, dass ich ziemlich gut bin, das weiß ich allmählich, klingt das gleich ganz anders, als wenn die gleichen Worte aus dem Zusammenhang gerissen im Raum stehen. Und bei Oliver Hirschbiegel war ich ganz allein, habe einen Monolog gespielt. Jeden Morgen bin ich mit einem Kopf voll von 30 auswendig gelernten Seiten am Drehort erschienen. Natürlich stand ich manchmal da und dachte, ich weiß nichts mehr. Es ist alles weg. Glauben Sie mir: Das ist keine Koketterie, das ist Angst, reine Angst.

Hatten Sie während der Dreharbeiten je einen Blackout?

Ja, einmal, in der Mitte des Films. Aber weil Oliver Hirschbiegel ein so wunderbarer Mensch und Regisseur ist und ich so ein Vertrauen hatte, stand ich einfach da - und habe gewartet. Und das konnte meine Figur eben auch. Ich habe also nicht als Hannelore Elsner gewartet, sondern als sie. Und auf einmal war der Text wieder da. Das hat er dringelassen. Ein ganz toller Moment.

Im Gegensatz zu vielen Ihrer Kollegen geben Sie zu, Kritiken zu lesen.

Ich lese alles und glaube niemandem, dass er es nicht tut.

Warum lesen Sie alles?

Vielleicht um die Kontrolle nicht zu verlieren. Ich weiß ja, wer ich bin und wie ich bin und fühle mich in meiner Haut eigentlich sehr wohl. Manchmal fühle ich mich allerdings ganz verloren und frage mich: Oh Gott, wie nehmen die Menschen mich wahr? Deswegen lese ich nicht nur Kritiken, sondern auch den ganzen anderen Mist.

Auch um zu sehen, ob man Sie noch liebt?

Die schönsten Liebesbekundungen für mich sind volle Kinos - meinetwegen auch hohe Einschaltquoten. Ich glaube, bei Kritikern geht es nicht um Liebe.

Worum sonst? Sehr häufig werden doch Schauspieler nicht vorrangig gefeiert, weil sie besonders gut sind, sondern weil bestimmte Kritiker einen Narren an Ihnen gefressen haben.

Das stimmt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schön es ist, wenn man das Gefühl hat, dass man ankommt. Ich gebe mich ja in jeder Rolle hin, gebe mich preis. Dabei interessiert mich vor allem, dass ich dem Text gerecht werde. Während ich spiele, denke ich doch nicht daran, ob ich irgendwelche Menschen erreiche. Und wenn der Film fertig wird, bin ich ja schon lange weg. "Vivere" habe ich vor kurzem in New York zum ersten Mal gesehen. Und das ist immer ganz merkwürdig. Einen Film, in dem ich mitgespielt habe, kann ich beim ersten Mal gar nicht erkennen, wenn ich ihn sehe. Um die Zusammenhänge wahrzunehmen, in denen ich spiele, muss ich ihn oft dreimal gucken.

Wie häufig haben Sie "Vivere" bisher gesehen?

Zweimal. Beim ersten Mal war ich entsetzt. Ich fand mich ganz grauenvoll. Es ist ein Schock, so, als würde man zu lange in einen Spiegel schauen. Wer macht das schon?! Ich bin sehr ungnädig mit mir, sehr grausam. Wenn ich ältere Filme noch mal sehe, versöhne ich mich aber meistens mit mir.

Sind Sie umso versöhnlicher gestimmt, je älter der Film ist?

Wenn ich Filme sehe, in denen ich 19 war, sehe ich mich als kleines Mädchen, das ich in den Arm nehmen möchte. Es ist ein ganz zärtliches Gefühl, weil ich auch die Angst wieder spüre, das Verlorensein, wenn man noch neu ist in diesem Beruf.

Mit Verlaub gesagt, Frau Elsner: Sie sind schon ewig im Geschäft

Sie müssen sich überhaupt nicht entschuldigen.

aber so richtig erfolgreich sind Sie erst seit "Die Unberührbare". Das war 2000. Da waren Sie 58, in einem Alter also, in dem Kolleginnen sich darüber beklagen, dass ihnen kaum noch attraktive Rollen angeboten werden. Haben Sie Angstdavor, dass es Ihnen irgendwann ähnlich ergehen wird?

Ich habe vor, noch einige Filme zu drehen. Wenn ich dauernd solche Ängste hätte, würde ich sterben. Das wäre grauenvoll. Manchmal habe ich die aber schon. Die Frage, was kommt jetzt, kehrt immer wieder, in jeder Phase des Lebens. In meinem Beruf weiß man nie, was nächstes Jahr ist. Man muss das nicht negativ sehen, kann sich ja auch darüber freuen, dass immer wieder Überraschungen auf einen zukommen. Natürlich denke ich manchmal, dass die wunderbaren Rollen auch früher hätten kommen können. Allerdings hätte ich früher dafür keine Zeit gehabt. Da war ich viel zu viel mit meinem Privatleben beschäftigt.

Im vergangenen Jahr haben Sie den Bayerischen Fernsehpreis für Ihr Lebenswerk erhalten. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Es war schön, geehrt zu werden. Ich war stolz und dachte, schade, dass meine Mutter das nicht sehen kann. So ein Preis ist wie ein gutes Zeugnis.

Ist es nicht seltsam, einen Preis fürs Lebenswerk zu bekommen, während man noch fleißig am Lebenswerk arbeitet? Haben solche Ehrungen nicht etwas unangenehm Endgültiges?

Nein. Ich habe den Preis eher als Anfang gesehen, als Anfang der Ehrungen (lacht).

Also auf keinen Fall als Etappenziel oder gar Schlusspunkt?

Um Gottes Willen: Nein! Ich bin immerhin eine der jüngsten Ehrenpreisträgerinnen überhaupt.

Sie haben vor ein paar Jahren mal gesagt: "Ich bin noch nicht wirklich alt." Bleiben Sie dabei?

Es ist schon merkwürdig, dass ich immer nach meinem Alter gefragt werde. Ich wurde mit 24 schon gefragt, wie es ist, 25 zu werden und mit 28, ob ich Angst hätte vor dem Alter.

Vielleicht weil Sie - entschuldigen Sie den esoterischen Begriff - eine "alte Seele" haben, in Ihrem Spiel also schon in jungen Jahren Abgründe sichtbar waren?

Das kann wirklich sein. Ich finde das einen sehr schönen Gedanken. Die Abgründe? Ich denke immer, wenn man die Dinge wirklich erlebt und zulässt und nicht versteinert, wird man durchsichtig und durchlässig - auch für die Abgründe, die in jedem stecken. Dann werden sie sichtbar für andere. Ich habe ja schon wahnsinnig viel erlebt - auch an Schmerzen.

Verzeihung, schon wieder ein Zitat: "Ich weiß heute, dass ich eine Zuneigung zu Sisyphos habe." Wissen Sie noch, was Sie damit gemeint haben?

Das war in einem Interview zu "Mein letzter Film". Es ist mein Beruf, immer wieder das Gleiche zu tun. Das mag ich sehr. Die Sehnsucht nach Vollkommenheit treibt mich an. Deswegen muss ich wie ein Klavierspieler ununterbrochen üben. Meine Lehrzeit war am Kurfürstendamm-Theater hier in Berlin, wo ich ein Stück en suite 365-mal gespielt habe, ein ganzes Jahr, samstags und sonntags sogar zweimal. Ich habe es geliebt, in dem immer wieder Gleichen immer wieder was Neues zu entdecken.

Sie sehen Sisyphos also nicht als tragische Figur?

Nein. In meinem Beruf muss man immer und immer wieder den Stein nach oben wälzen. Dann genießt man die Aussicht - und taucht wieder ab. Man kann nicht immer oben bleiben.

INTERVIEW: DAVID DENK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!