Handgepäck für das nächste Jahrtausend: Hoffen auf den Millennium-Bug
■ Essenzielles Handgepäck: eine Badehose und eine Tube Kulturpessimismus im Beutel. Denn der große Knall zum Jahrtausendende fällt vermutlich aus – enttäuschenderweise
Wer Anfang der Achtzigerjahre aufgewachsen ist, der hatte eigentlich wenig Grund, an das Jahr 2000 zu glauben. Ich meine, so als realistische Möglichkeit, nicht als Menetekel. Denn eines galt als sicher: Die Rente würde man bestimmt nicht mehr erleben, wenn man jung war in den Achtzigern. Und die letzten Jahre auf diesem Planeten, so von 1997 bis 1999, auch nur mit Hilfe von Gasmaske und Gummianzug überstehen – eine Zeichnung von Gerhard Seyfried illustrierte sehr schön, wo das alles enden sollte.
Jedenfalls war ich im Alter von dreizehn Jahren – das war 1983, um genau zu sein – ganz selbstverständlich davon überzeugt, mein dreißigstes Lebensjahr nicht mehr zu erreichen, aus nahe liegenden Gründen wie Umweltverseuchung und Waldsterben, Wettrüsten und Weltende. Was mir aber auch nicht weiter schlimm erschien, bei all dem begründeten Misstrauen gegenüber dem Dreißigsein.
Es ist, man muss es zugeben, ein bisschen anders gekommen seitdem. Ich kenne Leute, die haben nach Tschernobyl so viel Dosenmilch gebunkert, dass ihre Vorräte bis heute noch nicht aufgebraucht sind. Nur ist danach kein Desaster mehr passiert, außer dem, dass das Haltbarkeitsdatum inzwischen längst überschritten ist.
Nun sieht es ganz so aus, als ob sich auch der anstehende Jahreswechsel weit weniger dramatisch gestalten wird, als ich mir das als Kind in meiner Fantasie so ausgemalt habe. Was einerseits beruhigend, aber auf der anderen Seite natürlich auch etwas enttäuschend ist: Doch nicht die Last Generation. Schade.
Also auch kein Grund zum frenetischen Feiern, als wär's das letzte Mal. „We're gonna party like it's 1999“, hieß ein Song von jenem Künstler namens Prince, und der brachte die hedonistische Seite der Apokalypsesehnsucht auf den Punkt. Doch Prince heißt schon lange nicht mehr Prince, und die Apokalypse ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Was ist schon ein Millennium-Bug gegen den finalen Atomkrieg? Hoffentlich gibt es wenigstens einen klitzekleinen Stromausfall, wenn der Zeiger die Zwölf streift – so wie im aktuellen Video von Jennifer Lopez, oder in der Bonduelle-Werbung.
Das neue Jahrtausend sieht, je näher es kommt, auch nicht anders aus als das alte. Kontinuität verspricht allein schon der ewige Kreislauf der Warenwelt, der dafür sorgt, dass alles ständig wiederkehrt, ob Brauner-Bär-Eis, Achtziger-Pop oder Aerobic-Stulpen, als Retro-Gags recycelt und neu ediert auf Compilation-CDs, oder wie immer der Tonträger der Zukunft heißen mag.
Und trotzdem: Nicht alles wird den Weg über die Jahrtausendschwelle schaffen. Manches ist ja jetzt schon auf der Strecke geblieben. Das zutiefst sozialdemokratische Fernsehprogramm der Siebzigerjahre etwa, das einem die Kinder aus Bullerbü und Uhlenbusch und das „Urmel aus dem Eis“ der Augsburger Puppenkiste näher brachte, oder „Lucy, der Schrecken der Straße“ (übrigens das erste Medienmädchen, in das ich mich verliebt habe). Sie alle werden wohl dereinst nur noch im Medien-Museum zu besichtigen sein, Relikte einer Zeit vor der Ära des Privatfernsehens und der Popliteratur. Selbst Jim Knopf arbeitet heute als Werbeträger für die deutsche Bahn. Verräter.
Deswegen muss ein kleines bisschen Kulturpessimismus mit ins Handgepäck für das neue Jahrtausend, am besten in den Kulturbeutel. Denn wer weiß, vielleicht ist „Kulturpessimismus“ so ein Wort, das bald genauso antiquiert klingen wird wie heute schon Begriffe wie „Monarchie“ oder „selbst verwaltetes Projekt“. Ein wenig unzeitgemäß und lächerlich wirkt es ja jetzt schon. Aber manche Dinge kriegt man eben nicht so einfach aus seinem System.
Und was kommt noch in das Handgepäck? Eine Badehose, unbedingt. Und dann warte ich, bis die Polkappen irgendwie, irgendwo, irgendwann schmelzen.
Daniel Bax
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