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■ Hamburgs Bürgermeister meidet Rot-Grün wie der TeufelStatt-Voscherau

Henning Voscherau begegnet – zum nachvollziehbaren Verdruß der noch in Siegerlaune schwelgenden Grünen – den Koalitionsavancen der gewendeten Hardcore-Oppositionellen ausgesprochen zögerlich. Er versucht derzeit, nach nicht sonderlich originellem Muster, die Grünen gegen die zweiten Wahlgewinner, die Statt Partei, auszuspielen. Dabei scheint er eine Kooperation mit der Statt Partei – in Form der Duldung einer Minderheitsregierung – einer rot-grünen Koalition vorzuziehen. Denn im Gegensatz zu Gerhard Schröder oder auch Walter Momper ist Voscherau nicht der Mann für eine rot-grüne Allianz. Er ist ein politischer Enkel Helmut Schmidts, ein Law-and- order-Mann vom rechten Flügel der SPD. Wie er sich beispielsweise darauf fixierte, das Soziotop in der Hafenstraße zu zerstören, ist mit „neurotisch“ noch milde charakterisiert. Voscheraus politischem und und persönlichem Naturell steht die Statt Partei in jeder Beziehung näher als noch so realpolitisch geläuterte Grüne.

Voscherau mag sich zudem das Westberliner Experiment mit Rot-Grün in Erinnerung rufen, das eher einer permanenten Koalitionskrise denn einer Regierung glich und schließlich Walter Momper derart in den Orkus riß, daß dieser bei der Berliner Baumafia ein jammervolles Unterkommen finden mußte. Trotz nicht nur in puncto Hafenstraße unüberbrückbarer Differenzen mit den Grünen wäre aber auch die Variante mit der Statt Partei riskant. Programmlos unter Führung des stadtbekannten Profilneurotikers Markus Wegner könnten die parlamentarischen Newcomer sich schnell als ein Zufallsbündnis von Querulanten verschiedenster Provenienz entpuppen, das wesentlich unberechenbarer agiert als die Grünen.

Gleichwohl wäre Voscheraus Statt-Kooperation eine ironische Pointe der Hamburger Politik. Jahrelang haben sich die Grünen, die in den achtziger Jahren mit Thomas Ebermann und anderen eine Hochburg des grün-linken Fundamentalismus war, durch unerbittliche Auseinandersetzungen zwischen Fundis und Realos gelähmt. Sie haben dabei politische Talente en masse verschlissen und die Sympathisanten und Wählerinnen der Partei konsequent frustriert. Jetzt, wo sie endlich unbedingt mitregieren wollen, wird nichts daraus.

Vor solch tragischem Schicksal könnte die Grünen wiederum nur Voscherau erretten, dem es vor allem anderen um die Erhaltung der Macht und seiner Position geht. Wenn er dafür mit den Grünen deutlich bessere Chancen sähe, dann würde er es auch mit seinen langjährigen Feinden versuchen. Den Bonner SPD- Strategen kann dies auch recht sein. Da ein von der Statt Partei tolerierter SPD-Senat für Hamburg im besten Falle Stagnation bedeutet, plädieren wir mit der gebotenen Entschiedenheit schon aus Gründen der Abwechslung für diese Variante. Michael Sontheimer

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