Hamburger Szene : Das kleine bisschen Respekt
Wenn die Bundesliga ein Theater wäre, dann wäre der HSV für das Drama-Fach zuständig. Dann wäre Thomas Doll der tragische Held. Und vor allem wäre er ein begnadeter Schauspieler. Ist er aber nicht. Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, der keine Rollen spielt.
Er blickt zur kahlen Decke des Presseraums im Stadion, den Mund geöffnet, als würde er einen stummen Schrei ausstoßen. Er scheint das Treiben um ihn herum gar nicht zu registrieren. Natürlich weiß er schon, dass für ihn nach der erneut kümmerlichen Vorstellung seiner Mannschaft alles vorbei ist.
Er richtet die leeren Augen auf die Tischplatte. Warum hat er sich das angetan? Warum hat er nicht längst hingeworfen, nach dem x-ten Spiel, das seine Mannschaft manierlich begann, aber irgendwie unbeteiligt zu Ende spielte und am Ende wieder nicht gewann? Man weiß es nicht.
Kaum jemand fragt ihn noch. Er ist schon Geschichte. Alles tuschelt über seinen Nachfolger: Magath? Neururer? Oder ein Holländer? Nur die Fotografen brauchen noch das letzte Bild vom gefallenen Helden Thomas Doll. Gnadenlos halten sie drauf. Ohne das kleinste bisschen Respekt. Minutenlang prasselt ein Blitzlicht-Dauerfeuer auf sein gequältes Gesicht, wie man es auch beim medienverwöhnten HSV lange nicht erlebt hat. Stroboskopartig. Fluch des digitalen Zeitalters. Es hat schon was von Leichenfledderei.
Der Cottbuser Trainer Petrik Sander ist ein sensibler Mann. Er hätte eigentlich Grund zur Freude. Mitten in der Spielanalyse bricht er ab und sagt zu der blitzenden Meute: „Ich glaube, es ist nicht fair, was Sie jetzt hier machen.“ Wenigstens einer, der an diesem Abend in Hamburg ein klares Wort spricht. Danach ist Ruhe. Als Sander seinen Kollegen hinterher in den Arm nimmt, hat auch der letzte begriffen: Doll ist gefeuert. Jan Kahlcke