piwik no script img

Hamburger Szene von Friederike Gräff„Solche Leute entscheiden über uns“

„Er sah nicht so aus, als würde er die heutige Jugend kennen“, sagt der Rapper-Typ

An der Einlasskontrolle für Frauen im Hamburger Landgericht steht ein rotes Stoppschild. Irgendetwas wird repariert oder ausgetauscht, weshalb eine lange Schlange vor dem rechten Abfertigungsschalter steht, die sonst nur die Männer abfertigt. Die Schlange suggeriert gleiches Recht für alle, aber das gibt es auch im Hamburger Landgericht nicht: AnwältInnen und GerichtsmitarbeiterInnen dürfen an der Schlange vorbei. Man erkennt sie an den Mänteln aus guter Wolle und den Taschen aus glänzendem Leder.

Die meisten Wartenden in der Schlange sind Männer, sie tragen keine Wollmäntel, sondern Sweatshirt-Jacken und Jogginghosen.­ Die Stimmung ist nicht schlecht, man unterhält sich mit den Begleitern. Der Mann hinter mir, groß, Jogginghose, Rapper-Typ, sagt, dass ihn das alles hier nicht mehr beeindruckt. Ein Kumpel von ihm hat neulich acht Jahre bekommen. „Nach vier war er wieder draußen.“

Er zählt noch ein paar Beispiele auf für die Zahmheit des Strafens, während sich ein Mann zaghaft von links der Schlange nähert. Der Mann trägt fluseliges, kinnlanges grau-weißes Haar und eine wetterfeste Jacke. Die nicht zaghafte Justizbeamtin fragt ihn „Schöffe?“, und als er nickt, scheucht sie ihn nach vorne, damit er direkt durch die Kontrolle geht.

„Solche Leute entscheiden über uns“, sagt der Rapper-Typ und er klingt nicht wirklich zufrieden damit. „Was hat Ihnen an dem Schöffen nicht gefallen?“, frage ich und bin nicht ganz sicher, ob ihm die Frage gefallen wird. „Er sah nicht so aus, als würde er die heutige Jugend kennen“, sagt der Rapper-Typ. „Er sieht aus wie jemand, der die Welt nur durch Zeitung und Fernsehen kennt.“ „Ein Öko“, setzt er noch hinzu. Wir stehen an der Treppe, er muss zu seinem Prozess, ich zu meinem. Auch ich kenne die heutige Jugend nicht, und mein Haar ist in schlechter Verfassung. „Sind Sie auch Schöffin?“, fragt mich der Rapper-Typ. „Nein“, sage ich. „Ich schreibe für eine Öko-Zeitung.“

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen