Halbfinale der Champions League: Gegen die Wand
Der FC Chelsea London hat das Halbfinalduell gegen den FC Barcelona insgesamt mit 3:2 gewonnen, aber der Fußball hat verloren. Stimmt das denn überhaupt?
Ja
Die Champions League ist ein Pokalwettbewerb. Solche sind auch deshalb so beliebt, weil es sein kann, dass auch mal ein sogenannter Underdog einen Großen des Geschäfts schlägt. So schien es am Dienstag zu sein. Der kleine FC Chelsea hat nach einer wackeren Abwehrschlacht den ruhmreichen FC Barcelona aus dem Wettbewerb gekickt.
Das wäre eine schöne Pokalgeschichte, wenn das mit Oligarchenmillionen gepäppelte Chelsea wirklich ein Fußballzwerg wäre. Die Wahrheit ist: Das Team hat nur so gespielt, als wäre es einer. Und das ist keine gute Nachricht für die Freunde des Fußballs. Denn Chelsea ist ein Spielverderber im wahrsten Sinne des Wortes.
Es ist gewiss nicht schlimm, dass Chelsea nach dem 2:2 von Barcelona und dem merkwürdigen 1:0 von London zuvor nun im Finale steht. Für unansehnlichen Maurerfußball sehen die Regeln auch keine Bestrafung vor. Aber fragen darf man sich schon, ob so ein Hinterhergelaufe wirklich die Millionen wert ist, die in den Klub investiert worden sind.
Irgendwie schrecklich
Klar haben sich Didier Drogba, Frank Lampard und Kollegen diebisch gefreut über den Einzug ins Finale. Aber auch für sie muss es irgendwie schrecklich gewesen sein, als Ziegel in eine Mauer gemörtelt worden zu sein und nicht zeigen zu dürfen, dass sie Fußball spielen können. Wo ist der Trainer, der für diese großartigen Kicker ein System ersinnt, dessen Ziel es ist, das Spiel zu machen, nicht es zu zerstören? Er würde dem Fußball einen großen Dienst erweisen.
Ja, auch im Fußball ist Verteidigung durchaus eine Kunst, manchmal - wie am Dienstag - eine Kampfkunst. Wer diese Kunst beherrscht, gewinnt nicht selten Titel. Doch es sind hässliche Siege - das wissen auch die Fans. Die großen Zerstörer werden von ihnen zwar geschätzt, als große Fußballer indes werden nur die verehrt, die das Spiel machen können.
Das Sicherheitsdenken der Trainer zerstört auf Dauer den Sport. Das regiert in den großen Wettbewerben längst. Die WM 2006, bei der erstmals fast alle Teams mit zwei Zerstörern im Mittelfeld agiert haben, ist als mieses Turnier in die Geschichte eingegangen. Zu Recht.
Den Kickern erlauben, das Spiel zu machen
Es sind die Klubs wie der FC Barcelona und auf nationaler Ebene Borussia Dortmund, die den Fußball am Leben erhalten, weil sie ihren Kickern erlauben, das Spiel zu machen. Auch Lionel Messi kann nur glänzen, wenn er darf. Als Außenverteidiger, wie ihn Drogba in Barcelona bisweilen spielen musste, mag man ihn sich nicht vorstellen.
Es ist nicht ungerecht, dass der FC Chelsea im Finale spielen darf. Das Ergebnis zählt. Aber warum sollte man sich nicht ärgern dürfen, wenn die Mannschaft weiterkommt, die sich dem Fußballspiel verweigert, die schon vor dem Anpfiff selbst feststellt, dass sie die viel schlechtere ist, und genau das dann auf dem Platz unter Beweis stellt? Chelsea ist weiter - es lebe der FC Barcelona! (arue)
Nein
Sie sind die Hohepriester der Effektivität. Die ebenso wackeren wie rüstigen Spieler des FC Chelsea, die völlig verdient ins Finale der Champions League eingezogen sind, hatten zwar nur 18 Prozent Ballbesitz, aber die reichten ihnen, um Barça fertigzumachen. 18 Prozent Ballbesitz, das entspricht bei einer effektiven Spielzeit von ca. 55 Minuten nicht mal 10 Minuten Ballbesitz.
Macht in der Endabrechnung vom Dienstag 5 Minuten Ballbesitz pro Tor. Das sind Werte, die das Herz eines Trainers höherschlagen lassen. Sollen sich die Ballzirkulatoren vom FC Barcelona doch schwindlig passen, die Blues kontern zweimal, und schon haben sie das Ding im Sack.
Wo andere sich dumm und dusslig spielen, da errichtet der FC Chelski des Herrn Abramowitsch in guter alter Ostblocktradition eine Mauer. Meterdick und betonhart. Wo steht denn geschrieben, man müsse schön spielend zum Erfolg kommen? In einem Spiel, das keine B-Note für die künstlerische Leistung wie beim Eiskunstlauf kennt, zählt nur das nackte Ergebnis.
Kein verbrieftes Recht auf das Finale
Es gibt kein verbrieftes Recht für ein katalanisches Team, im Finale der Champions zu stehen. Sie mögen begnadete Fußballer haben, aber die Pille 30-mal in der Luft halten, das können auch Didier Drogba und Frank Lampard. Der FC Chelsea, und das allein kann man ihm vorwerfen, ist ein Plagiator.
Er hat von einem Spiel abgekupfert, das 2010 stattfand: Barça gegen Inter Mailand, Halbfinale der Champions League. Hier musste Inter auch früh mit einem Mann weniger auskommen. Barça hatte damals sogar 86 Prozent Ballbesitz. Und nun raten Sie mal, wer weitergekommen ist.
Richtig, Inter. José Mourinho hat die Barça-Besieger-Taktik erfunden, und Chelsea-Coach Roberto di Matteo hat sie jetzt verfeinert. Das Antidot, also das Gegengift gegen die Dominanz des FC Barcelona heißt Mauern - im besten Sinne des Wortes. Diese Taktik ist verdammt mutig, denn man erntet die denkbar schlechteste Presse dafür.
Rehhagels Griechen
Die Chelsea-Helden werden jetzt angefeindet wegen ihres Defensivverhaltens. Sie hätten den kreativen Kick abgewürgt, seien als Spielverderber aufgetreten, als Barça-Basher. Aber wer solche Vorwürfe erhebt, hat nichts vom Fußball verstanden. Denn dieses Spiel, das nur vom Ergebnis lebt, kennt keine unmittelbare Moral oder Gerechtigkeit. Wären sonst die Griechen unter Rehhagel Europameister geworden? Eben.
Man kann die Rentnergang des FC Chelsea ( 29 Jahre) gar nicht genug loben für ihren Coup, denn das Team war von allen Experten und denen, die sich dafür halten, abgeschrieben worden. Aber die alten Säcke haben noch Ambitionen. Das kennt man aus dem Jahr 2007, als die Gerontokicker des AC Milan noch mal den Pott geholt haben. Sie taten es routiniert und abgezockt. So wie Chelsea gegen das angeblich beste Team der Welt. Von wegen. (mv)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!