Häuser denen, die drin wohnen: Sieg der Vernunft: Mit dem Verkauf der Hafenstraße an die Genossenschaft "Alternativen am Elbufer" beschreitet Hamburg dne Weg aus der Irrationalität
■ Das Gesicht in der glatten Visage
Die traditionsreichen Hamburger Wohnungsgenossenschaften haben nach langer Zeit wieder Nachwuchs bekommen: Die Genossenschaft „Alternativen am Elbufer“ steht für den glücklichen Ausgang eines vierzehnjährigen Ringens, in dem der Klügere glücklicherweise nicht nachgab und so einen kommunalpolitischen Lernprozeß der ganz besonderen Art ermöglichte. Hamburgs müde, alte Wohnungsgenossenschaften drücken heute das widerborstige und (fast ganz) SPD-freie Genossenschafts-Baby schon ganz begeistert an ihr traditionsreiches Herz. Nicht nur der Hafen lebt – auch der Genossenschaftsgedanke, einst ein Eckpfeiler sozialdemokratischer Stadtkultur, flackert wieder auf.
Von 1981 bis 1994 hatte sich eine Einheitsfront aus Springerpresse, SPD-Mehrheit, CDU und Teilen der Wirtschaft bemüht, selbstbestimmtes Wohnen in spekulantenfreiem Wohnraum am Hafenrand zu verhindern. Doch die gewitzten und hartnäckigen BewohnerInnen, unterstützt vom grün-alternativen Spektrum über Hamburgs Intelligenzia bis hin zum liberalen Großbürgertum, hielt wacker dagegen.
Dem adeligen SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, 1986 bekehrt durch den linksgeistigen Multimillionär Jan Philipp Reemtsma, kommt das Verdienst zu, in der bedrohlichsten Phase dieses Ringens einsatzbereite Polizei-tausendschaften am Sturm auf die Barrikaden gehindert zu haben.
Die Bekehrung von Dohnanyis Nachfolger Henning Voscherau, der die Hafenstraße schon als Fraktionsvorsitzender unnachgiebig verfolgt hatte, dauerte länger. Sein berühmtes „Nun ist es genug!“ kurz nach seinem Amtsantritt 1988 wurde nicht nur von der Bild-„Zeitung“ als Versprechen einer Räumung bis spätestens 1993 verstanden. Obwohl Notar Voscherau sich bei Gericht die notwendigen Räumungstitel beschaffen konnte, gab er im Winter 1993 seine Räumungspläne auf.
Zu offensichtlich klafften die Senatsparole vom Terroristen- und Kriminellen-Nest und die soziale Realität in St. Pauli-Süd auseinander, in einem Stadtteil, in dem die Hafenstraße nach und nach sogar die gesamte Honoratiorenriege, vom Immobilienspekulanten über Händler, Kneipiers und Lehrer bis zum Pastor, auf ihre Seite ziehen konnte.
Als dann auch noch die Handelskammer Entwarnung gab, die Hafenstraße von der Liste jener „Essentials“ strich, von denen vermeintlich Wohl und Wehe des Wirtschaftsstandorts Hamburg abhinge, war der Weg frei für eine komplizierte Operation: Unter möglichst weitgehender Gesichtswahrung für den Senat sollten die BewohnerInnen das erhalten, was sie schon immer forderten: Die Häuser denen, die drin wohnen.
Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow, ein Mann der geschliffenen Intrige, nutzte seine Fähigkeiten diesmal im Dienst einer guten Sache: Zum Entsetzen der wenigen echten Hardliner in SPD und CDU brachte er ein mehrstufiges Dialogmodell in Gang, an dessen Ende scheinbar naturwüchsig das heutige Genossenschaftsmodell steht.
Natürlich mußten sich auch die Klügeren ein klein wenig flexibel zeigen: Mit richtigem Kaufpreis, sozialverträglichen Netto-Kaltmieten und einer durch Großbürgertum und traditionelles Genossenschafts-Know-How verstärkten Genossenschaftskonstruktion wurde das für Voscherau schmerzliche Zugeständnis gleitfähig gemacht.
Die Mühe hat sich gelohnt: Die von Jahr zu Jahr immer glatter polierte Visage des Hafenrandes wird ein Stück unverfälschtes Gesicht behalten dürfen. Die BewohnerInnen der Hafenstraße haben ein Stück städtischer Heimat erobert. Und sogar die Stadtkasse kann sich freuen: Das ganze Modell Hafenstraße wird am Ende weit unter den Kosten des sozialen Wohnungsbaus liegen, der mittlerweile 30 Mark pro Quadratmeter kostet (10 Mark zahlen die Mieter, 20 Mark subventioniert der Staat).
Eine wachsende Zahl von Wohnungsbauexperten sieht im Modell Hafenstraße denn auch einen zukunftsweisenden Weg aus der Krise des Wohnungsbaus: Häuser und Wohnungen im Dialog mit den Betroffenen zu erhalten ist einfach billiger und besser.
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