Hähnchenmastanlage gefährdet Gesundheit: Giftige Kornkammer

Die intensive Hühnermast in Niedersachsen macht der Umwelt zu schaffen. Sie schädigt das Grundwasser und verkeimt die Umwelt, wie politisch engagierte Ärzte in einer Studie behaupten.

Gut für die Ernte - schlecht fürs Grundwasser: Ein Acker wird im großen Stil mit Jauche gedüngt. Bild: dpa

HAMBURG taz | Die Massentierhaltung in Niedersachsen gerät zunehmend in die Kritik. Am Montag haben die Anwohner einer geplanten Hähnchenmastanlage bei Salzgitter eine Studie an Ministerpräsident David McAllister (CDU) geschickt, die belegen soll, wie gefährlich der Staub und der Mist aus den Ställen ist. Zugleich wurde bekannt, dass das Land mit der Sanierung seiner Gewässer hinter EU-Vorgaben zurückbleibt. Hierfür ist zu einem großen Teil die intensiv betriebene Landwirtschaft verantwortlich.

Die Bürgerinitiative Üfingen-Alvesse sandte ihre Hähnchenstall-Studie mit einem Offenen Brief an McAllister, in dem sie diesen auffordern, seiner Verantwortung für die Gesundheit aller Niedersachsen gerecht zu werden. Die Initiative wehrt sich gegen den Bau von Ställen mit 85.000 Tieren, die ohne Filter und Keimgutachten genehmigt worden seien (taz berichtete). McAllister möge sich binnen sieben Tagen zu den in der Studie geschilderten Gefahren äußern.

Für die Expertise holten sich die Leute aus Üfingen-Alvesse Hilfe aus dem Landkreis Aurich, wo um eine Mastanlage für 40.000 Tiere gestritten wird. Der Amtsarzt hatte dort verneint, dass Staub und Mist aus Ställen den Menschen in der Umgebung gefährlich werden könnten. Die Autoren der Studie, promovierte Ärzte, sehen das anders.

Im Land Niedersachsen ist die Landwirtschaft eine Macht. Das zeigt auch ein Blick auf die Statistik:

Erlöse: 7,5 Milliarden Euro im Jahr 2009.

Fläche der gesamten Landwirtschaft: 2,9 Millionen Hektar, davon 1,9 Millionen Ackerland; um den Eu-Wasserschutz-Vorgaben zu genügen muss auf 770.000 Hektar der Stickstoffeintrag verringert werden.

Vieh: 47 Millionen Hühner, 8,3 Millionen Schweine und 2,5 Millionen Rinder.

Ausgaben für den Trinkwasserschutz 1994 bis 2007: 263 Millionen Euro, davon 131 Millionen als Ausgleich und Entschädigung für weniger düngende Landwirte.

Die Luft in Hähnchenmastanlagen sei schlechter als in anderen Ställen, schreiben Thomas Fein, Burkhard Kursch und Lutz Kaiser nach dem Studium einschlägiger Literatur. In Hähnchenställen hätten sich "die höchsten Konzentrationen an Gesamtkeimen, Staphylokokken, Enterobakterien und Schimmelpilzen" gefunden - 12.000-mal mehr Keime als in der Außenluft. Dazu komme die hohe Konzentration giftiger Zellbestandteile. All das belastet Mensch und Vieh in den Ställen.

Ein Teil davon gelangt in die Umgebung. In mehr als 300 Metern Entfernung sei noch das Siebenfache der normalen Konzentration an Staphylokokken nachweisbar. Aus den Anlagen strömten weitere Bakterien, Schimmelpilze und Gifte - letztere aber nur in geringen Mengen. Zum Teil werde der Staub mehr als 500 Meter weit geweht. Ein besonderes Problem stellt der Mist dar. Das Gemisch aus Streu und Kot wird auf die Felder gekleckert und vom Winde verweht, samt der gefährlichen Partikel.

Die Ärzte zitieren Studien, nach denen Menschen, die in Mastanlagen arbeiten, besonders oft an den Atemwegen erkranken. In der Umgebung zeigten die "Bioaerosole" aus den Tierställen nur bei besonders empfindlichen Menschen Wirkung. Die Ammerländer SPD-Landtagsabgeordnete Sigrid Rakow beschreibt das aus AnwohnerInnensicht so: "Es ist so viel Feinstaub in der Luft, dass man eigentlich keinen Lebensmittelmarkt betreiben könnte."

Der Dung der 47 Millionen niedersächsischen Hühner dürfte seinen Teil zur Verunreinigung der Gewässer beitragen. Bundesweit stammten 61 Prozent der Stickstoffeinträge in Gewässern aus der Landwirtschaft, hat das Umweltbundesamt ermittelt. In Niedersachsen dürfte der Wert eher höher liegen. Die Landesregierung nennt als Quelle vor allem die Rinderhaltung und die wachsende Menge an Gärresten aus Biogasanlagen.

Der Befund ist jedenfalls Besorgnis erregend: Auf 62 Prozent der Landesfläche sei das Grundwasser nach den Regeln der europäischen Wasserrahmenrichtlinie in chemisch schlechtem Zustand, teile die Landesregierung auf Anfrage der SPD mit. Auf 59 Prozent der Fläche sei dafür ein zu hoher Gehalt an Nitrat - einer Stickstoffverbindung, die krebserregende Nitrosamine erzeugen und bei Säuglingen zu Sauerstoffmangel führen kann.

Seit das Umweltbundesamt Anfang der 90er Jahre seinen ersten Nitrat-Bericht veröffentlich hat, ist die Gewässerbelastung zwar insgesamt zurückgegangen. Zuletzt hat sie sich aber gerade in Niedersachsen an einigen Messstellen wieder verschlechtert. Der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband habe sie auf dieses Problem aufmerksam gemacht, berichtet die SPD-Abgeordnete Rakow, Co-Autorin der Anfragen. "Wehret den Anfängen", sagt sie.

Das Trinkwasser ist nach Auskunft der Landesregierung nicht in Gefahr. Bei 1.600 Nitrat-Untersuchungen in 600 Wasserversorgungsgebieten seien durchschnittlich 11 Milligramm Nitrat pro Liter gemessen worden; zulässig sind 50 Milligramm. Nur dreimal im Kreis Hameln-Pyrmont sei mehr festgestellt worden - bis zu 61 Milligramm. Aus Sicht Rakows klingt das harmloser als es ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.