Häftlinge aus Guantanamo: Menschen, die niemand haben will
232 Gefangene sitzen in Guantánamo. Die meisten könnten längst frei sein, wenn jemand sie ein Land aufnähme. Aber vorher müssen die US-Behörden Material über sie freigeben.
Die zehnköpfige Familie von Mohammed Khan Tumani verließ Syrien im Juni 2001. Auch die 67-jährige Großmutter kam mit. Mohammeds Vater, Abdul Nasser Khan Tumani, hatte beschlossen, dass Wohlstand und Glück anderswo zu suchen seien. Über Umwege erreichte die Familie Afghanistan - zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Nach dem 11. September herrschte dort Krieg, die Khan Tumanis flohen weiter nach Pakistan.
Mohammed war 17, als er mit seinem Vater aufgegriffen und, wahrscheinlich gegen Kopfgeld, an die US-Truppen ausgeliefert wurde. In verschiedenen Gefängnissen wurde er geschlagen, ihm wurden Nase und linke Hand gebrochen. Seit sieben Jahren sitzt er jetzt in Guantánamo - wie sein Vater, den er aber nicht sehen darf. Es gibt keine formelle Anklage gegen die beiden. Sie haben noch keinen Richter gesehen. Gäbe es ein Aufnahmeland, könnten sie gehen. Vater und Sohn bitten darum, dass Deutschland sie aufnimmt. Sie fürchten, in Syrien wegen ihrer Jahre in Guantánamo verfolgt zu werden. So berichten es ihre Anwälte.
Mohammed weise "Anzeichen seelischen Verfalls" auf, sagt Pardiss Kebriaei, Anwältin bei der US-Bürgerrechtsorganisation Center for Constitutional Rights. "Guantánamo sollte diesen jungen Mann brechen - und hat ihn auch gebrochen." Kebriaei und ihre Kollegen waren gerade in Portugal, um auch dort um die Aufnahme von Vater und Sohn und sechs weiterer Guantánamo-Insassen zu bitten. Doch wollte weder der Außen- noch der Innenminister mit den Anwälten sprechen.
Dieser Artikel stammt aus der sonntaz vom 18./19. Juli 2009 - ab Sonnabend gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.
Dabei war es Portugal, das im Dezember 2008 als erstes Land die EU-Partner aufrief, dem neuen US-Präsidenten Barack Obama zu helfen, das Gefangenen- und Folterlager Guantánamo zu schließen. Ohne Erfolg: Die meisten EU-Länder wollen keine Häftlinge haben, die aus Problemstaaten kommen und nach Jahren völkerrechtswidriger Haft als schwierige Charaktere gelten dürften. Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärt: Wenn die Häftlinge "kein Sicherheitsrisiko darstellen, muss auch geklärt werden, warum sie nicht in den USA bleiben können".
Der US-Kongress wiederum verweigert Obama die Kooperation - nur so würden die Europäer weich, heißt es dort. Ein einziger Insasse wurde im Juni in die USA gebracht: Der Tansanier Ahmed Ghailani muss sich in New York vor Gericht für die Al-Qaida-Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 verantworten.
232 Männer sitzen laut der laufend aktualisierten Internet-Liste der Washington Post derzeit in Guantánamo. Nur gegen 17 von ihnen gibt es formelle Vorwürfe, die vor "Militärkommissionen" verhandelt wurden. So soll etwa Omar Ahmed Khadr, ein Kanadier, im Sommer 2002 als 16-Jähriger für al-Qaida in Afghanistan gearbeitet und den US-Soldaten Christopher Speer mit einer Handgranate getötet haben. Andere sollen für al-Qaida spioniert, auch Bomben gelegt haben.
Von den übrigen 215 Häftlingen ist kaum mehr bekannt, als die Anwälte vom Center for Constitutional Rights oder von der Bürgerrechtskanzlei-Gruppe Reprieve herausgefunden haben. Die Geschichten ihrer Klienten lesen sich wie Dokumente willkürlicher Staatsgewalt. Nur ein weiteres Beispiel: Ayman Mohammed al-Schurafa kommt aus Saudi-Arabien, hat aber einen palästinensischen Pass. Er wurde 2001 in Afghanistan aufgegriffen, doch hat sich nichts finden lassen, was ihm vorzuwerfen wäre. Er könnte laut US-Behörden Guantánamo sofort verlassen, wenn ihn jemand aufnähme.
Ende Juli läuft die Frist aus, die der Bezirksrichter in Washington dem US-Justizministerium gesetzt hat, bislang "geschütztes", teils geheimdienstliches Material über die Häftlinge offenzulegen. Dies könnte Bewegung in die Guantánamo-Diskussion auch in Deutschland bringen: Die Informationen könnten den Anwälten helfen, die Geschichten ihrer Klienten glaubwürdiger zu machen. Sie könnten den Regierungen in der EU aber auch helfen, ihre Ablehnung zu untermauern.
Als Obamas Leute in Berlin darum baten, eine Gruppe von neun Uiguren aufzunehmen, nutzte Schäuble geheimdienstliche Hinweise, dass einige schon einmal mit einer Kalaschnikow geschossen hatten, um alle abzulehnen. Ebenfalls zurückgewiesen hat Schäuble einen Syrer und einen Tunesier. Sicher nicht zufällig fanden Angaben ihren Weg in die Presse, wonach der Syrer in US-Haft "gestanden" habe, ein Al-Qaida-"Operateur" gewesen zu sein. Der Tunesier sei 1996 bis 1999 in Frankfurt am Main wegen Drogen und Asylbetrugs vielfach festgenommen worden.
Ausgerechnet Silvio Berlusconi zeigt sich bisher großzügiger als die Deutschen: Die Aufnahme von insgesamt sechs Häftlingen soll der italienische Premierminister Obama zugesagt haben. Über die drei Tunesier Riadh Nasri, Moez Fezzani und Abdul Bin Mohammed Bin Ourgy ist bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Mailand bereits gegen sie wegen islamistischer Umtriebe ermittelt hat. In Italien aber kratzt dies niemanden besonders.
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