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„Haben Sie was gegen Träume?“

Der Dichter Thomas Gsella über seine umstrittene „Gsellakotta-Armee“ und die deutsche Bürokratie

Zarte Hände, grobe Soldaten Foto: ap

Interview Gerhard Henschel

taz: Herr Gsella, wir alle kennen die berühmte Terrakotta-Armee aus dem Mausoleum des chinesischen Kaisers Qin Shi Huang Di. Es handelt sich da um 7.000 lebensgroße, aus Ton geformte Soldatenskulpturen mitsamt Pferden und Kriegswagen. Diesem historischen Kunstwerk wollen Sie mit Ihrer „Gsellakotta-Armee“ eine eigene Streitmacht entgegensetzen. Warum?

Thomas Gsella: Ich würde mich eher fragen: Warum nicht? Wir leben schließlich in einem freien Land.

Sie haben eine große Lagerhalle im Aschaffenburger Gewerbegebiet Nilkheim West angemietet und dort die ersten 200 Figuren Ihrer Armee aufstellen lassen. Dem Vernehmen nach sind sie Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten …

Na klar. Ich habe schließlich dafür Modell gestanden, und jetzt gehen die Dinger in Serie.

Wie viele Soldaten soll die Armee am Ende umfassen?

100.000. Die werden in einem SOS-Kinderdorf in der Stadt Sivakasi im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu hergestellt, und zwar nachhaltig, emissionsarm, energiesparend, ressourcenschonend und klimaneutral.

SOS-Kinderdörfer dienen aber normalerweise nicht als Produktionsstätten, in denen Kinderarbeit stattfindet …

In diesem Fall machen die Kinder das aber gern. Und wenn Sie denen das Taschengeld missgönnen, das sie dafür kriegen, sollten Sie besser mal Ihren moralischen Kompass hinterfragen.

Wie das Main-Echo kürzlich berichtet hat, bestehen die Infanteristen der Gsellakotta-Armee zu mehr als 80 Prozent aus Asbest und Formaldehyd. Würden Sie auch Ihre eigenen Kinder solchen Schadstoffen aussetzen?

Gegen diese Schauermärchen gehen meine Anwälte bereits vor. Die Soldaten meiner Armee und deren gesamte Ausrüstung werden vom Aschaffenburger Amt für Umwelt- und Verbraucherschutz auf Herz und Nieren geprüft, und da hat es bislang nie Bedenken gegeben.

Man erzählt sich freilich, dass Ihr Großneffe Ole-Sven Gsella-Meyer in der Sachgebietsleitung Umwelttechnik und Naturschutz innerhalb des Aschaffenburger Amts für Umwelt- und Verbraucherschutz das Sagen habe und bisweilen, salopp gesprochen, „ein Auge zudrücke“ …

Das kann ich ins Reich der Legenden verweisen. Mein Großneffe Ole-Sven Meyer hat dort insgesamt nur sechs Wochen lang als Praktikant ­gearbeitet. Dabei ist er zu keinem Zeitpunkt für die Überwachung der Umweltverträglichkeit meiner Kavalleristen und ­Bogenschützen zuständig gewesen, und im Übrigen habe ich überhaupt keinen Großneffen dieses Namens, sondern nur eine Großnichte, die Miriam Gsella-Hubrich heißt und schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr mit mir spricht.

Wieso denn nicht?

Es gibt da gewisse Erbstreitigkeiten um die Spargelfelder und die Chaiselongue meiner Großtante Gwendolin Gsella, geborene Freiin von Pückler, doch das will ich hier nicht vertiefen. Themawechsel!

Wie lange, schätzen Sie, wird es dauern, bis die Gsellakotta-Armee in Nilkheim West vollständig angetreten ist?

Pi mal Daumen zweieinhalb Jahre. Für die Schwerter brauchen wir noch ziemlich viel Material aus den bolivianischen Silberminen, die mir gehören, und allein für meinen Thronsitz würde ich 300 Tonnen Gold veranschlagen, die natürlich erst mal ausgesiebt, geschmolzen und in Form gegossen werden müssen. Die Eröffnungsfeier soll am 19. Januar 2028 stattfinden, meinem 90. Geburtstag, mit zahlreichen Top Acts aus nah und fern.

Welchen denn?

Angefragt worden sind inzwischen unter anderem Heiner Lauterbach, Claudia Cardinale, Elon Musk und die ­Wildecker Herzbuben.

Ist der Vorverkauf schon angelaufen?

Ja, aber nur schleppend, und das hat mich etwas enttäuscht. Ich bin eigentlich immer ein Menschenfreund gewesen, doch diese Grundeinstellung wird bei mir allmählich brüchig. Nehmen Sie nur mal meine Vaterstadt Essen. Der habe ich letztes Jahr eine Hüpfburg für Waisenkinder gestiftet, und jetzt höre ich, dass sie wegen irgendwelcher bürokratischer Auflagen aus dem Verkehr gezogen worden ist und dass ich als Spender sogar noch was draufzahlen muss! Da fragt man sich doch, wozu man seinen Mitbürgern noch was Gutes tun soll, wenn es einem so gedankt wird.

Nach unserem Kenntnisstand ist die betreffende Hüpfburg so miserabel konstruiert gewesen, dass viele Kinder darin bereits am ersten Tag schwere Unfälle erlitten haben. Verbürgt sind zwölf Armbrüche, zwei Beinbrüche, ein Schädelbasisbruch und fünf Spiralfrakturen. Bedauern Sie das nicht?

Was kann denn ich dafür, wenn die Aufsichtspersonen vor Ort versagen? Soll ich mich demnächst auch noch für die Kontinentalverschiebung entschuldigen? Ich sage Ihnen eins: Wenn die Stadt Essen meine Hüpfburg nicht mehr haben will, dann ziehe ich meine Zustimmung zur Umbenennung der Essener Grugahalle in Gsellahalle zurück. Und das meine ich ernst!

In Ihrer Wahlheimatstadt Aschaffenburg ist man Ihnen freundlicher gesinnt. Ist dort nicht sogar eine Eissorte nach Ihnen benannt worden?

Ja, und zwar die Sorte „Vanilla glacies in stilo Thomae Gsellae“ oder so ähnlich. Ich selbst bevorzuge aber nach wie vor die Sorten Venezia Frozen Crumble, Gurke-Schoko und Amarettino mit Kokosraspeln und Rumrosinen, weil die farblich so gut zu den Lederbezügen in meinem Lamborghini passen.

Wovon die Kinder im SOS-Kinderdorf bloß träumen ­können. Laut dem Interna­tio­nalen Gewerkschaftsbund erhalten sie dort nach einer 14-Stunden-Schicht nur jeweils eine kleine Schüssel kalter Hafergrütze …

Die Eröffnungsfeier soll am 19. Januar 2028 stattfinden,mit zahlreichen Top Acts aus nah und fern

Umso besser lässt es sich doch träumen! Oder haben Sie was gegen Träume? Meine Devise lautet: Wenn ein Mensch das Träumen verlernt, hat er ausgespielt. Es gibt nichts Wichtigeres als den Traum von einem besseren Leben. Wie zum Beispiel meinem eigenen! Ich habe ja auch mal ganz unten angefangen, als kleiner Lyriker und Fuzo-Gitarrist, und mich mühsam hochgedient. Die stündlich wachsende Gsellakotta-Armee, über die ich gebiete, ist mir nicht in den Schoß gefallen. Die habe ich unter unsäglichen ­Qualen aus dem Boden gestampft!

Aber hat Sie das auch glücklich gemacht?

Im Großen und Ganzen schon. Für mich ist das Glücklichsein konnotiert mit Begriffen wie „Happiness“, „Sich-in-der-eigenen-Haut-Wohlfühlen“ und „Mit-mir-selbst-im-­Reinen-Sein“. Und dennoch lodert irgendwo in mir dieser unbezähmbare Ehrgeiz, es der Welt noch einmal beweisen zu wollen. Mein Grips hat nämlich nicht gelitten! Soll ich mal alle Nudelsorten aufzählen, die ich kenne?

Aber machen Sie ’s kurz.

Okay! Spaghetti … Spaghettoni … Spaghettini … äh … Habe ich Spaghettoni schon genannt?

Kann sein. Haben Sie vielen herzlichen Dank!

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