HUNDERTTAUSENDE DEMONSTRIEREN FÜR DIE RECHTE DER ABORIGINES: Australiens neuer Stolz
Wenn in 109 Tagen in Sydney die Olympischen Spiele beginnen, will sich Australien als weltoffen und multikulturell präsentieren. Das ist es auch. Doch dieses Land hat auch eine rassistische Geschichte. Die „White Australia“-Politik, die erst Ende der Sechzigerjahre offiziell beendet wurde, negierte die Ureinwohner und kannte für sie nur Assimilation oder Ausrottung. Erst 1992 erkannte ein Gericht an, dass Australien nicht durch Entdeckung entstand, sondern durch Eroberung. Von dieser Vergangenheit aus betrachtet, hat sich Australien in 30 Jahren ein großes Stück bewegt. Geblieben ist jedoch die soziale, wirtschaftliche und politische Benachteiligung der Aborigines. Noch immer sind zu wenige Australier bereit, die Ursachen für die Fortsetzung vergangenen Unrechts zu erkennen. Diese Geschichte ist nicht einfach passé. Sie setzt sich heute in Form anhaltender Benachteiligungen fort.
Die meisten Australier haben die Notwendigkeit der Versöhnung mit den Ureinwohnern erkannt. Dabei geht es um symbolische wie konkrete Schritte. Eine Anerkennung der Gräuel der Weißen ist eine Geste. Sie bleibt jedoch so hohl wie die Anerkennung der Aborigines als erste Bewohner des Landes, wenn dies nicht mit der Anerkennung von Rechten verbunden ist. Denn ohne besondere Rechte werden sich die Aborigines wahrscheinlich nie aus ihrer besonders schlechten Lage befreien können. Premierminister John Howard will sich für das begangene Unrecht nicht offiziell entschuldigen, weil er in der Vergangenheit keine Verantwortung trug. Das offenbart nicht nur ein merkwürdiges Staatsverständnis. Es zeigt auch, dass er zur Versöhnung nur bereit ist, wenn sie zu seinen Konditionen und möglichst ohne Kosten erfolgt. Doch das ist keine echte Versöhnung. Die besteht nicht aus Machtpolitik, sondern ist ein beidseitiger Prozess auf der Grundlage, vergangene Fehler nicht zu wiederholen und aktiv zu ihrer Wiedergutmachung beizutragen.
Die Dokumente des australischen Versöhnungsrates enthalten Schwächen und Kompromisse. Doch der Rat und indirekt auch Howard mit seiner Sturheit haben erreicht, dass der Wunsch zur Versöhnung in der Bevölkerung gewachsen ist. Der gestrige Marsch zeigt deutlich, welchen Weg die Australier bereits gegangen sind und was noch vor ihnen liegt. Sorry, Mister Howard, aber warum soll die versöhnungsbereite Bevölkerung ewig warten? Die gestrigen Demonstranten haben den Premier weit hinter sich gelassen und mit der Versöhnung selbst angefangen. Sie beweisen, dass sie das, was in diesem Land nicht stimmt, ändern wollen. Auf diese Menschen kann Australien als Gastgeber der Olympischen Spiele stolz sein. SVEN HANSEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen