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HÖCHSTZÜCHTUNG: SOLDAT

■ Ossietzky in Fremd- und Selbstzeugnissen

London, 22. April 1914: Maud Woods, eine junge Engländerin, engagiert in der Frauenbewegung, heiratet den am 3. Oktober 1889 in Hamburg geborenen, katholisch getauften und protestantisch konfirmierten Journalisten Carl von Ossietzky, der kurz zuvor noch im Justizdienst gearbeitet hat, wo ihm „Fleiß, Eifer und Verwendbarkeit“ bescheinigt wurden.

Maud von Ossietzky in ihren Erinnerungen: „Eines Tages bat mit ein häufiger Gast um ein Rendezvous. Im Dammtor-Cafe, nahe dem Zentrum der Stadt, wollten wir uns treffen (...) Als ich nach einer halben Stunde noch immer allein an dem kalten Marmortischchen saß, (...) da stand vor mir ein blasser, schüchterner Jüngling. Er stellte sich höflich, aber ein wenig unbeholfen vor und entschuldigte seinen Bekannten, einen Arzt... (Doch) sehr bald entpuppte er sich als ein gewandter und kluger Gesprächspartner: Er schien sich zu verwandeln, wenn er sprach, die Worte strömten drängend hervor und hellten das Gesicht erstaunlich auf. Später sagte er mir, daß er wegen seiner Schüchternheit bisher noch nie ein Gespräch mit einer jungen Dame geführt habe.“

Keineswegs blaß, schüchtern oder gar höflich-unbeholfen aber trat der junge Journalist schon damals, wenige Monate vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, seinen politischen Gegnern gegenüber. Ossietzky am 31. Mai 1913: „Bei uns herrscht eine namenlose Überschätzung des Militarismus. Mars, der rabiate Kriegsgott, erlebt sein goldenes Zeitalter. Nirgends wird ihm mehr geopfert, nirgends ist seine Autorität größer, nirgends der Glaube an das Schwert stärker.“

Damit hatte Ossietzky sein Thema gefunden, das ihn von nun an sein ganzen Leben lang leidenschaftlich beschäftigen sollte: Der Kampf gegen den Militarismus, gegen die beherrschende Rolle des Militärs in Staat und Gesellschaft und gegen die weitverbreitete militärgläubige Untertanengesinnung. Carl von Ossietzky am 10. Mai 1932 in der 'Weltbühne‘: „(...) nirgendwo glaubt man so inbrünstig wie in Deutschland an den Krieg als vornehmstes politisches Mittel (...) nirgendwo feiert man kritikloser das Soldatentum als die gelungene Höchstzüchtung menschlicher Tugenden.“

Wie man später an uns denken wird, ist ebenso wichtig, wie daß man an uns denken wird. Darin liegt unsere Zukunft. Ein Deutschland, das an uns denkt, wird ein anderes Deutschland sein...“, so hatte Ossietzky es proklamiert. Aber seine große Hoffnung, sein mahnender Appell, das andere, das demokratische Deutschland im Gefüge der besten republikanischen Ideen aufzubauen, wurde schon bald von den fanatischen Demonstrationen der Bücherverbrenner übertönt, die am 10. Mai 1933 auch Carl von Ossietzkys Vermächtnis auszulöschen versuchten: „(...) gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe den Flammen die Schriften von Marx und Kautsky (...) Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe an Volk und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Friedrich Wilhelm Foerster (...) Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges, für Erziehung des Volkes im Geiste der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque (...) Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung vor dem unsterblichen Volksgeist! Verschlinge Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky...“ Gegen den „unsterblichen Volksgeist“, den er als „Militärgläubigkeit“ und katzbuckelndes „Die-Knochen -zusammenreißen“ entlarvte, setzte Ossietzky immer wieder den Geist freiheitlich-demokratischer Traditionen; gegen das „Vorrecht der Kriegsminister, gelegentlich den Mund etwas zu voll zu nehmen und sich (...) als den Hort des besten und auserwählten Patriotismus zu feiern“, formulierte er 1932 seine „Gedanken eines Zivilisten“: „(...) Deutschland ist ohne freiheitliche Tradition, ihm fehlt das wirkliche Bürgerbewußtsein, ihm fehlt der Stolz des Zivilisten gegenüber der Uniform. Immer wieder ist den deutschen Untertanen in der Kaiserzeit eingebleut worden, daß es ein Frevel am Volke sei, dem Militarismus irgendetwas zu verweigern. Das ist in der Republik kein Jota besser geworden, im Gegenteil (...) Heute sind wir so weit gekommen, daß der sogenannte Wehrgeist ausschließlich im Mittelpunkt der Politik steht; der Staatsbürger wird nicht mehr danach gefragt, wie er es mit der Republik hält, sondern ob er 'wehrfreudig‘ ist (...) So scheint es das ewig gleichbleibende deutsche Schicksal zu sein, über die geistigen Formen des Militärstaates nicht hinauswachsen zu können.“

Und an anderer Stelle, am 10. Mai 1932 in der 'Weltbühne‘, notiert er unversöhnlich, indem er aus der Verbitterung vieler seiner politischen Freunde die Erkenntnisformel für den Kampf gegen falsch verstandene Traditionen filtert: „Die Republik hat es nicht verstanden, den spontanen Antimilitarismus, den unsere Heere aus dem Kriege mitbrachten, im eigenen Interesse zu fundieren. Sie hat ihn, im Gegenteil, unterdrückt, wie sie nur konnte, und den chauvinistischen Gegenströmungen eine Konzession nach der anderen gemacht, ohne daß es ihr gelungen wäre, sie mit ihrer Existenz zu versöhnen. Aus alledem aber wuchs als gefährlichste Frucht: die Suprematie des Militärs in der Politik.“

Aus: Johann P. Tammen, in: Detlef Kappeler: „Auf der Suche nach Carl von Ossietzky“, Berlin, 1990 (aus dem Ausstellungskatalog).

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