HOFFEN AUF ARBEIT: Illegal in Frankreich
Jos ist Capverdianer und wie sechs andere Geschwister ausgewandert. Auf seiner Heimatinsel Santiago bleibt nur, wer zu alt ist, oder keine Verwandten im Ausland hat, die ihm helfen. In Frankreich lebt er illegal, mit Frau und drei Kindern, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Aufgezeichnet ■ VON JEAN CHICHOZOLA
Ich bin vor acht Jahren von den Capverdischen Inseln weggegangen. Ich hatte keine Arbeit, habe manchmal kleine Jobs erledigt, aber nichts Richtiges. Ich bin weggegangen, weil es für mich wie für alle dort nur eine Wahl gab: dableiben und verhungern oder weggehen, egal wohin, wo ich Arbeit und gute Lebensbedingungen für meine Familie finden konnte. Ich stand nicht als einziger vor dieser Wahl. Die Leute in meiner Familie sind schon immer ausgewandert. In jeder capverdischen Familie ist mindestens ein Mitglied weggegangen, um in den Vereinigten Staaten sein Glück zu machen. Bei mir war es mein Großonkel, bei meiner Frau Louisa der Großvater.
Als ich beschloß wegzugehen, hatte ich viele Möglichkeiten. Von acht Brüdern und Schwestern in meiner Familie lebten schon fünf im Ausland: drei in Portugal, von denen einer die portugiesische Staatsbürgerschaft hat, einer in der Schweiz und einer in Frankreich. In der Familie meiner Frau sind alle vierzehn Kinder weggegangen, zwei in die Schweiz, eins in die Niederlande, fünf nach Frankreich und der Rest nach Portugal. Ich habe auch Verwandte im Senegal, in Sao Tome und in Guinea-Bissau. Meine Jugendfreunde und die meiner Frau sind fast alle ausgewandert.
Es ist bei uns Tradition, daß diejenigen, die schon weggehen konnten, denen aus ihrer Familie helfen, die weggehen wollen. Sie geben ihnen Geld für die Reise, lassen sie in der ersten Zeit bei sich wohnen, und sie können ihnen vor allem Unterkunftsbescheinigungen geben. Wer bleibt, ist zu alt, um wegzugehen, oder hat nicht das Glück, Verwandte zu haben, die sich um ihn kümmern können. Ich hätte nach Portugal gehen können. Das ist kein sehr reiches Land, aber für uns war es das Eldorado. Und dann konnte ich schon Portugiesisch. Aber seit etwa zehn Jahren ist die Lage dort schwieriger geworden. Es gibt Wohnungsprobleme, und die Capverdianer leben in schlechten Verhältnissen. Für mich war Portugal keine gute Wahl. Blieben noch die anderen Länder, die Schweiz, die Niederlande und Frankreich. Eine meiner Schwestern lebte in Frankreich, und sie und ihr Mann waren bereit, mir zu helfen.
Ich bin also nach Frankreich gegangen. Ich habe ein Touristenvisum für drei Monate bekommen und habe das Flugzeug genommen. Wir mußten erst noch in Lissabon bleiben, das war damals vorgeschrieben. Es gab zwei Möglichkeiten, um aus Lissabon wegzukommen: mit dem Auto bis zur Grenze zwischen Spanien und Portugal fahren und dann nach Frankreich einreisen, oder direkt das Flugzeug nach Paris nehmen, was für uns praktischer war. Nach der Ankunft in Roissy hat sich meine Familie um mich gekümmert. Mit meinem Touristenvisum konnte ich keine Arbeit bekommen. Man hat mir eine gefälschte Aufenthaltsgenehmigung besorgt, für die ich 3.000 Francs bezahlt habe. Danach blieben mir insgesamt noch 1.000 Francs zum Leben. Ich bin lange arbeitslos gewesen. Ohne die Unterstützung meiner Familie hätte ich nicht durchgehalten.
Ich habe als Hilfsarbeiter angefangen, heute bin ich Facharbeiter
Nach sechs Monaten entschloß ich mich, mit meinem Schwager die Gegend um Paris zu verlassen und Arbeit an der Cote d'Azur zu suchen. Wir hatten dort Beziehungen. In Frankreich leben die Capverdianer vor allem in der Gegend um Paris, im Norden oder an der Cote d'Azur. Sie arbeiten fast alle im Baugewerbe. Wir wurden als Bauarbeiter eingestellt. Ich verstand nichts vom Handwerk, und ich habe als Hilfsarbeiter angefangen, heute bin ich Facharbeiter.
Es ging eigentlich alles ganz gut, aber eines Tages wurde ich von der Polizei kontrolliert. Scheinbar war meine Aufenthaltserlaubnis gültig, aber die Polizisten haben gemerkt, daß ihre Nummer nicht registriert war. Ich bekam eine Vorladung vor Gericht. Damals sprach ich noch nicht französisch, ich wußte nichts von Frankreich. Ich hatte Angst und bin mit meinem Schwager nach Paris geflohen. Jahrelang habe ich von dieser Geschichte nichts mehr gehört. Ich habe Arbeit gefunden. Mein damaliger Chef war Portugiese, genau wie der, für den ich jetzt arbeite. Das ist bei den Capverdianern oft so, weil die Portugiesen wissen, daß wir gut arbeiten und weil wir dieselbe Sprache sprechen.
Mein zweites Kind wurde 1986 geboren. Meine Frau mußte zur Entbindung nach Portugal gehen, weil wir kein Recht auf die staatliche Krankenversicherung hatten. Mein zweites Kind hat also die portugiesische Staatsangehörigkeit, während das erste Capverdianer ist, er wurde vor unserem Weggang geboren. Mein letzter Sohn, der vor einem Jahr geboren wurde, ist Franzose. Sechs Jahre lang, von 1984 bis 1990, haben wir als Illegale gelebt, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Trotzdem habe ich eine meiner Schwestern aufgenommen, als sie die Capverdischen Inseln verlassen wollte. Von allen Mitgliedern meiner Familie im Ausland hatte ich die wenigsten Kinder. Also habe ich ihr geholfen. Es ist nicht leicht, illegal zu sein, aber ich hatte keine andere Wahl.
Eines Tages haben wir begriffen, daß wir durch unser Verstecken die Zukunft unserer Kinder nicht aufs Spiel setzen durften. Sie mußten zur Schule gehen können. Mit meiner Zustimmung hat sich meine Frau also entschlossen, die Kinder bei der Stadtverwaltung anzumelden. Sie mußte auch zur Polizei gehen. Als sie dort war, haben die Polizisten ihr gesagt, daß ich gesucht würde und zu ihnen kommen müßte. Ich bin hingegangen, und sie haben mich ein paar Stunden festgehalten. Erst mit dem Versprechen, mich dem Gericht zu stellen, das 1984 über mich hätte verhandeln sollen, durfte ich gehen. Zur Verhandlung konnte ich nicht, weil meine Frau krank geworden war. Sie hat die Richter benachrichtigt, aber niemals eine Antwort bekommen. Sie haben mich in meiner Abwesenheit verurteilt und meine Ausweisung beschlossen.
Nach der Geburt meines Sohnes vor einem Jahr ist meine Frau wieder in die Stadtverwaltung gegangen, um ihn anzumelden, und die Polizei ist mir erneut auf die Spur gekommen. Seitdem kommen sie jeden Monat tagsüber in meine Wohnung, um meine Frau zu fragen, ob ich da bin. Jetzt lebe ich wieder mit der Angst. Es kommt vor, daß ich eine ganze Woche nicht zu Hause schlafe, aus Angst, daß die Polizisten dort nachts nach mir suchen. Ich weiß nicht, wo ich morgen bin, aber eins ist sicher: Ich will nicht auf die Capverdischen Inseln zurück. Was sollte ich dort auch?
Ein Bruder meiner Frau ist nach zehn Jahren in Frankreich zurückgegangen, mit dem Geld, das er gespart hatte. Heute ist er ein reicher Mann. Aber ich kann nichts sparen, mit drei Kindern und einem Lohn von 2.600 Francs, und ohne die Sozialleistungen nutzen zu können, weil ich illegal bin. Wenn ich vor sieben Jahren ausgewiesen worden wäre, hätte ich das ungerecht gefunden, aber heute fände ich es absurd. Was würde aus meiner Frau und meinen Kindern werden, sie gehen zur französischen Schule. Sie kennen die Capverdischen Inseln nicht. Warum sollten sie zurückkehren? Ich weiß, daß ich verloren bin, wenn ich Frankreich verlassen muß, ich weiß auch, daß ich in kein anderes Land einreisen dürfte. Was hätte Frankreich mit meiner Ausweisung gewonnen?
Jean Chichizola ist Redakteur bei „Liberation-Developpement“, der Pariser Koordination von WORLD MEDIA
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