■ H.G. Hollein: Krank
Die Frau, mit der ich lebe, pflegt mich aufopferungsvoll, wenn ich siech darniederliege. Weil ich ihr dann hilflos ausgeliefert bin. Zum einen bietet ihr mein Zustand einen willkommenen Vorwand, mich mit einem fürsorglichen „Du brauchst Ruhe, Schatz“vom gemeinsamen Lager zu verbannen und ins Wohnzimmer auszulagern, zum anderen kann sie an meiner hilflosen Hülle das verdrängte Erbgut einer Kräuterhexe aus dem hessischen Hinterwald ausleben. „Schwedenkräuter!“ist das magische Wort der Stunde, und ich gestehe, ich fürchte diesen Anblick, wenn sich aus einem schmuddeligen Flachmann ein brauner Bräu aus Doppelkorn, Tabakresten und abgeschnittenen Fußnägeln auf einen Eßlöffel ergießt, der sich unerbittlich meinen vergebens protestierenden Lippen nähert. Ein anderer, nicht weniger beunruhigender Aspekt dieser hausinternen Intensivbehandlung ist der Entzug jeglicher Fremdkontakte. Anrufer oder gar teilnahmsbereite Besucher werden kaltblütig abgefangen oder gar nicht erst zur Tür hineingelassen. Das einzige Lebewesen, das – wenn auch in zweifelhafter Absicht – an mein Lager treten darf, ist die Katze, die mich duldet. Tierfreunde mögen es rührend finden, wenn sie nach mehrminütiger unbewegter Augenscheinnahme eine Pfote auf meine Brust setzt. Ich bin der festen Überzeugung, daß sie einfach nur feststellen will, ob das da überhaupt noch lebt und wenn ja, ob die Temperatur dieses fiebrigen Körpers endlich hoch genug ist, um es sich in seiner Armbeuge bequem zu machen. Wenn ich so ein paar Tage in einem abgedunkelten Raum ohne Bücher und Fernseher verdämmert habe – „Du mußt deine Augen schonen!“– steigt mein Lebenswille ins Unermeßliche. Nur reicht es bei weitem nicht, einfach zu behaupten, ich sei wieder gesund. Die letzte, schwerste Prüfung steht mir erst noch bevor. In Form eines hochgereckten Fieberthermometers in der Hand der maliziös lächelnden Gefährtin nämlich: „Wollen doch mal sehen, wie's uns wirklich geht“, heißt es dann und – nach einer genußvollen Pause – „Umdrehen!“
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