■ H.G. Hollein: Fragen
Die Frau, mit der ich lebe, will abends regelmäßig wissen, wie mein Tag war. So was ist anstrengend. Die Antwort „Wie immer, Schatz“ mag zwar der Wahrheit entsprechen, genügt aber mitnichten den Vorstellungen, die sich die Gefährtin über meine turbulente Büroroutine zurecht gelegt hat. So gilt es denn, über Knäckebrot und Putensalami der ein oder anderen Beiläufigkeit den Charakter des Ereignishaften abzuringen. Etwa, dass der Graupapagei von Kollegin P. seiner Besitzerin in einem Anfall altersbedingter Unleidlichkeit in den Finger gebissen hat. Vielleicht hat sie ihn ja gefragt, wie sein Tag war. Aber die Vermutung behalte ich lieber für mich. Gravierender ist da schon der Umstand, dass Kollege K. die Fähigkeit eingebüßt zu haben scheint, einen vernünftigen Kaffee zu kochen, seit ihm ein Zahn gezogen wurde. Richtig dramatisch ist das aber auch nicht. Ich könnte mich natürlich über die ewigen Sonderwünsche und abseitigen Terminvorstellungen der Kunden beklagen, aber dazu müsste ich etwas weiter ausholen, und das will ich eigentlich nicht. Ich könnte mit betont gleichmütiger Miene einfließen lassen, dass mein Büro nach sechseinhalb Jahren einen neuen Teppichboden bekommen hat, aber das spare ich mir lieber für einen wirklich ereignislosen Tag auf. Vor ein paar Tagen fiel mir nichts besseres mehr ein als der Gefährtin zu offenbaren, dass ich mit einer Kundin in einem Restaurant an der Elbe zum Mittagessen war. Das war ein Fehler. Erstens ruft die Gefährtin seitdem jeden Mittag im Büro an, zweitens will sie jetzt auch dahin eingeladen werden. Wovon die Gefährtin merkwürdigerweise nichts hören will sind die wirklich ernsten Probleme des Alltags. Wenn ich es auf Grund einiger missgeschalteter Ampeln nicht mehr geschafft habe, bei „unserem“ Schlachter „ihren“ Lieblingsaufschnitt zu erwerben, weicht das Interesse an meinen verständnisheischenden Darlegungen im Nu einer bockigen Einsilbigkeit. Aber morgen ist ja wieder ein neuer Tag.
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