■ H.G. Hollein: Freie Bahn
Die Stadt, durch die ich täglich rolle, ist erleuchtet worden. Von der Fackel der Freiheit. Der Autofreiheit, um genau zu sein. Weg mit den Parkgebühren, nieder mit den Einbahnstraßenschildern und der Zwangskollektivierung der Fahrradstreifen! Liberté, Mobilité, Rapidité! „Sagenhaft!“ wie unsere vormaligen Brüder und Schwestern aus den Nebuläs dermaleinst zu jubeln pflegten. Sagenhaft in der Tat, wenn ich mich hauptsächlich da unumfahren zu Fuß bewegen soll, wo ich ohnehin nie hinwollte. Aber Freiheit braucht eben hierorts eine feste Hand und ist nur hinter einer Absperrung aus rot-weißen Reitern denkbar. Andererseits weiß dann auch jeder gleich: Dahinter beginnt der sakrale Bereich, wo die Fußgänger die mystische Kommunion mit der Fahrbahn eingehen. Da will man als Autofahrer nicht stören und biegt mit einem solidarischen Hupen ab. Derweil die Pedomobilen den Freigang in ihren Krals genießen, kann man drumherum endlich mal ungestört an Ampeln Dragster-Starts üben und ansonsten den Wolf hinterm Steuer ausleben. Verkehr beruhigt schließlich, wenn Sie wissen, was ich meine. Überhaupt finde ich, die Stadt sollte ihre Reservatspolitik ausdehnen und Fußgängern wie Radfahrern – natürlich nach einem einzelhandelskompatiblen Raster – ausgewählte Straßenzüge bindend zur Frequentierung vorschreiben. Die Baubehörde könnte selbige dann auch währenddessen gleich aufreißen und würde sich somit elegant der lästigen Kritik einer verfehlten Baustellenplanung seitens der Autofahrer entziehen. Aber man ist ja schon mit Wenigem zufrieden. „Straße frei – SA marschiert“ hieß es früher, und dem tritt die Politik derzeit ja auch beflissen entgegen. Wo ein politischer Wille ist, bricht er der Freiheit eben immer einen Weg. Und sei der nur eine Nebenstraße.
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