■ H.G. Hollein: Einzusehen
Vor der Wohnung, für die ich Miete zahle, stehen ein paar hohe Bäume. Linde, Eiche, was weiß ich. Jedenfalls sind sie so weit ausgereift, dass ihre Äste bei stärkeren Luftbewegungen an unser Schlafzimmerfenster schlugen. Das stimmte die Katze, die mich duldet, bisweilen verdrießlich und ängstigte – vor allem nachts – die Frau, mit der ich lebe. Mag sein, dass ich in der ersten Tiefschlafphase auf der Gefährtin schutzsuchendes Klammern ein wenig unwirsch reagierte. So hätte ich es wohl besser unterlassen, darauf hinzuweisen, dass es sich im dritten Stock wohl kaum um Einbrecher handeln werde, allenfalls sei es Freund Hein, der schon mal höflich anklopfe, um die Gefährtin vorzeitig abzuberufen. Herzlos sei ich, unsensibel gar, wurde mir noch Tage später vorgehalten. Nun ist damit Schluss, und die Gefährtin redet überhaupt nicht mehr mit mir. Das Gartenbauamt war nämlich da, mit fachkundigem Personal und hydraulischer Hebebühne. Eines Morgens erwachte die Gefährtin, blickte aus dem Fenster und sah sich einem tatkräftigen jungen Mann mit einer Heckenschere gegenüber. So schnell ist die Gefährtin noch nie zu mir unter die Dusche gestürzt. Ich missverstand ihr Drängen anfangs gründlich und ließ mich – neugierig geworden – schaumbedeckt zurück ins Schlafzimmer zerren. Dort wurde ich angesichts der häckselnd aufheulenden Heckenschere schnell anderen Sinnes. Nur fiel mir trotz der sichtlichen Aufgeregtheit der Gefährtin und ihrer wiederholten Anfeuerungen, endlich aktiv zu werden, beim besten Willen nicht ein, wie der Mann von Welt solche Situationen souverän zu meistern pflegt. Ich retirierte verklemmt lächelnd wieder unter die Dusche und riet der Gefährtin, zwischenzeitlich in den uneinsehbareren Teilen unserer Wohnung Zuflucht zu suchen, der Mann da draußen tue schließlich nur seine Pflicht. Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass die Gefährtin mich seitdem für einen Schlappschwanz hält.
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