■ H.G. Hollein: Heimtrainerin
Die Frau, mit der ich lebe, hat die Körperertüchtigung entdeckt. Meine, um genau zu sein. Seitdem darf ich, wenn die Gefährtin mich begleitet, in Kaufhäusern keine Rolltreppen mehr benutzen. Und seit ein paar Tagen wartet in der Wohnzimmerecke ein „Stepper“ auf mich, wenn ich mit der Mineralwasserkiste keuchend den dritten Stock erklommen habe. Meint die Gefährtin doch, da sei an Oberschenkeln und Gesäß noch einiges „auszudefinieren“. Das jedenfalls will sie bei einem ihrer nachstellerischen Blicke hinter den Duschvorhang festgestellt haben. Ich habe nichts dagegen, mit Wohlgefallen betrachtet zu werden. Was mich aber denn doch stört, ist dieser Ausdruck in den Augen der Gefährtin – ungefähr wie ein Bauer, der seinen Preis-Eber taxiert. Dummerweise habe ich irgendwann einmal erwähnt, dass ich als Adoleszent Mitglied eines Ruderklubs war. Prompt hat die Gefährtin ein entsprechendes Gerät geordert, das ich natürlich selbst abholen und in unser geräumiges Heim hinaufschleppen durfte. Darauf sitze ich nun Abend für Abend, derweil die Gefährtin auf dem Bett hockt, „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ guckt und mit abwesender Miene meine Schlagzahl vorgibt. Ich sehe sie schon, wie sie demnächst mit einer kleinen Pauke dasitzt, um für die angemessene Galeerenatmosphäre zu sorgen. Die Katze, die mich duldet, findet Herrchens Pein offenbar auch ganz unterhaltsam. Zumindest verfolgt sie mein rhythmisches Vor- und Zurückgefahre mit – wenn auch distanziertem – Interesse. Mir ist nur nicht ganz klar, was sich die Gefährtin letztlich von meiner Stählung verspricht. Immerhin nähere ich mich dem infarktgefährdeten Alter. Vielleicht will sie aber auch nur, dass die eine Badehose, die sie mir mal geschenkt hat, endlich wieder passt.
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