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■ H.G. HolleinHöhenluft

Die Frau, mit der ich lebe, will größer werden. Zeit wird's. Ist doch – seit ich den neuesten Satz Bücherregale angebracht habe – ein Gutteil der Weltliteratur für die Gefährtin außer Reichweite gerückt. Bei einem Lebendmaß von 1,58 Metern und einer Wandhöhe von drei Metern ist der Leselust nun mal eine natürliche Obergrenze gesetzt. So klagt die Gefährtin denn seit Tagen verstärkt Abhilfe ein. Es müsse etwas her, was im hessischen Idiom offenbar als „Trittchen“ firmiert. Besser noch eine fahrbare Bibliotheksleiter. Allein, ich scheue die Kosten. Darum habe ich der Gefährtin fürs erste den Zugriff zu den oberen Reihen vermittels Hoppelstock nahe zu bringen versucht. Was allerdings auf ebenso erbitterte Ablehnung stieß wie mein Vorschlag, doch einen Kurs im Free-climbing zu belegen. Dabei hätte ich es mir ganz hübsch vorgestellt, die Gefährtin als Spiderwoman im oberen Wanddrittel an den Regalen kleben zu sehen. Derzeit ist es mithin an mir – immer dem herrischen Finger der Gefährtin folgend – ihre Bettlektüre zusammenzutragen. Das möchte ja hin und wieder noch angehen, nur hat die Gefährtin die Angewohnheit, in drei bis vier Büchern gleichzeitig zu lesen, was zu einem zwar malerischen, aber auch überaus bewegungshemmenden Wildwuchs an kleinen bis mittelgroßen Bücherpyramiden rund um unsere Beziehungswalstatt, vulgo Bett, geführt hat. Das Abtragen dieser literarischen Bauwerke „macht der Mann“, versteht sich. Schließlich „ist ja nicht mal ein Trittchen da“. Also habe ich damit begonnen, die am wenigsten frequentierten Werke nach oben umzuschichten. Was bisher allerdings nur zur Folge hatte, dass der Gefährtin reihenweise Titel auffallen, in die sie angeblich „schon lange mal wieder“ reinschauen wollte.

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