piwik no script img

■ H.G. HolleinKurios

Die Frau, mit der ich lebe, hat endlich ihren Platz gefunden. Er heißt Bad Kissingen. Es war meine – wie ich fand – unverfängliche Idee gewesen, dort einen Zwischenstopp auf der Rückfahrt aus dem Schwäbischen einzulegen und selbigen mit einem beschaulichen Bummel durch einen wilhelminischen Kurort zu verbinden. Ein erster Anflug von Misstrauen überkam mich aber bei dem Hinweis, dass in Kissingen normale Hotelgäste unter „Passanten“ firmieren, derweil Kurinsassen als „Hausgäste“ gelten. Was mich als nächstes irritierte, war die Beobachtung, dass auf den Straßen kein einziges Kind zu entdecken war. Es ging überhaupt allerorts verdächtig still, gleichsam gedämpft zu. So kam mir die Gefährtin denn auch mehrfach abhanden, als ich – gewohnt dynamischen Schrittes – durch die Gassen strebte, zeigte sie doch bereits eine gewisse ungute Affinität zu der alles umwabernden, zeitlupigen Kur-Aura. Als wir, angelockt von den – verhaltenen – Klängen einer ungarischen Kapelle die große Trink- und Wandelhalle betraten, wusste ich, dass mein vages Ahnen eines schwebenden Unheils nur zu begründet war. Die Köpfe von mehreren Hundert in lauschendem Dämmer versunkenen Geronten hoben sich. Folgten mir zuerst träge, dann, Witterung nehmend, sichtlich zielgerichteter. „Jugend! Der Meister hat uns Jugend geschickt!“ flackerte es begehrlich durch die Stuhlreihen. Ich retirierte so unmerklich wie möglich in Richtung Ausgang, und mit einem enttäuschten Murren sanken die Köpfe wieder nach vorn. Mich zog es nach dieser Nahtod-Erfahrung in die Sicherheit der Hotelbar zurück, aber die Gefährtin bestand darauf, zuvor „die Wasser zu nehmen“, sprich die Mineralquellen zu kosten. So wurde mir ein lauwarmer, rostig-salziger Schluck aus „Pandur“ zuteil, einer Quelle mit Katarrh-lösender Wirkung. Die hat sie in der Tat. Am nächsten Morgen erwachte ich mit einer Bronchitis, die sich gewaschen hatte. Als die Gefährtin fürsorglich säuselnd vorschlug, doch noch ein paar Tage zu bleiben, erfasste mich namenloses Grauen. Das Böse hatte gesiegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen