■ H.G. Hollein: Leerstand
Die Frau, mit der ich lebe, guckt mir über die Schulter. Mit spitzer Nase. Es ist Donnerstagvormittag, Zeit für meine wöchentlichen 60 Zeilen. Jetzt gilt's. Das weiß auch die Gefährtin, flötet „Na, es will wohl nicht so recht?“ und trollt sich in Richtung Dusche. Den Hinweis hätte es nicht gebraucht, betrachte ich doch schon seit zehn Minuten zigarettendrehend den leeren Bildschirm. Vielleicht könnte ich erwähnen, dass Freundin S. beim Fliegen neuerdings Thrombose-Strümpfe trägt. Aber: Muss die Welt das wissen? Zumal S. mir eingeschärft hat, diesen Umstand auf keinen Fall weiterzuerzählen. So spaziere ich denn zum Behuf der Findung zündender Pointen sinnend durch die Wohnung. Allein, es will in der Tat nicht so recht. Zwar finde ich en passant Gelegenheit, der Gefährtin ein paar Minuten versonnen beim Abbrausen zuzusehen, aber die dabei anfallende Inspiration ist für den doch eher prüden Rahmen dieses Blattes herzlich ungeeignet. In der Küche komme ich beim Anblick des Geschirrs vom Vorabend kurz in Versuchung. Hier wäre zweifellos Sinnvolles zu vollbringen, aber wie jeder Profi-Schreiber weiß: Übersprunghandlungen sind die Fortsetzung der Schreibblockade mit anderen Mitteln. Also setze ich mich tapfer wieder vor meinen leeren Bildschirm und mache ein kreatives Gesicht. Im Zweifelsfall fängt man am besten einfach irgendwo an. Also: „Kommt 'ne Frau zum Arzt...“ Aber wie das Weitere in die zutiefst intellektuelle Diktion dieser Kolumne verweben? Dazu müsste ich mich erstmal an die Pointe erinnern. Aber wozu hat man seine Muse? „Dann schreibt's eben diesmal jemand anders“, spricht die Gefährtin leichthin und entschwindet zur Verrichtung ihres Tagwerks. Das wüsste ich aber. Nun denn: Die Frau, mit der ich lebe ...
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