■ H.G. Hollein: Wettergöttin
Die Frau, mit der ich lebe, kommuniziert offenbar mit den Elementen. Wenn es hagelt, heißt es manchmal, das habe sie nicht bestellt. Bisweilen sitzt die Gefährtin auch während eines Gewitters auf dem Bett und ruft nach einem Donnerschlag ein unwilliges „Ruhe da draußen!“ in die blitzerhellte Nacht. Das kann doch nur bedeuten, dass die Gefährtin da draußen wen wähnt – oder am Ende gar kennt –, der an den Schalthebeln des meteorologischen Mischpults sitzt. Bestätigung für diese Annahme finde ich in scheinbar absurden Anweisungen wie „Schatz, mein Zeh tut weh, hol du mal die Wäsche vom Balkon.“ Ich habe gelernt, dass Zuwiderhandlungen unerbittlich mit einem zusätzlichen, kostenlosen Naturweichspülgang geahndet werden. Aber nicht nur in ihrem angestammten Wirkungsfeld weiß die Gefährtin trefflich zu wettern. Da wäre etwa die Geschichte mit dem Regenwölkchen, das uns unverdrossen kreuz und quer durch die Bretagne folgte, während ringsherum am Horizont die liebe Sonne lachte. „Das hast du nun davon,“ beschied mich die Gefährtin, „ich wollte ja ans Mittelmeer.“ Allein, was hätten wir davon gehabt, das leuchtende Blau der Cote d'Azur jenseits eines Vorhangs aus knallenden Wassertropfen nur zu ahnen? Wer letzte Sicherheit über die wetterkonstituierende Aura der Gefährtin gewinnen will, der lade sie bei Regenwahrscheinlichkeit Null zu einem Grillabend ein. Wenn sie dann in Gummistiefeln und Friesennerz erscheint, findet die Grillgesellschaft das nur kurz zum Lachen. Bezeichnenderweise war der Lieblingsfilm der Gefährtin in den vergangenen Monaten „Noah“. Derweil die Fluten gnadenlos Gerechte wie Ungerechte verschlangen, saß sie mit geballten Fäusten vor dem Schirm und stieß ein triumphierendes „Ja!“ nach dem anderen hervor. Ich warte ehrlich gesagt mit einigem Interesse auf den Tag, an dem mich die Gefährtin in einem großen Einmachglas empfängt. Leichter zu halten ist sie dann allemal.
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