■ H.G. Hollein: Schirmherr
Die Frau, mit der ich lebe, will einen Regenschirm. Ich frage mich wirklich, wozu? Erstens neigt die Gefährtin nicht dazu, bei geöffneten Himmelsschleusen den werten Fuß vor die Tür unseres Nestchens zu setzen, zweitens haben wir einen. Den schleppt zwar seit vier Jahren eine hoffentlich zufriedene Seele in Münster durch die Gegend, weil wir ihn da in einer Kneipe vergessen haben, aber streng rechtlich gesehen ist selbiger Schirm schließlich immer noch der unsere. Zudem habe ich vor drei Jahren Ersatz beschafft und am einzigen Regentag eines südfranzösischen Sommers unter den mitleidigen Blicken einer Verkäuferin einen „parapluie“ erstanden. Der taugte nur nichts und war beim ers-ten hiesigen Windstoß hinüber. Man soll eben Regenschirme nur in Breiten kaufen, in denen eine elementare Grundkenntnis meteorologischer Unbilden garantiert ist. Mein Stammlieferant in dieser Hinsicht sind die Herren Smith & Sons in der Londoner Tottenham Court Road. Wo sonst wird man mit den Worten „Very good choice, Sir“ zur Kasse gebeten und einem der Schirm auch noch auf der Straße aufgespannt? Ich wäre ja bereit, mich zum Zwecke einer dezentralen Beschaffung eines ansprechenden Modells dem Londoner Frühlinsgwetter auszusetzen, allein, die Gefährtin stellt sich bei der Bewilligung eines entsprechenden Nachtragshaushalts quer. Dann muss sie eben sehen, wo sie bleibt. Immerhin hat sie selbst das uneigennützige Angebot ihrer Mutter abgelehnt, sich ersatzweise deren Ladyknirpses Baujahr 1978 zu bedienen. A propos Ladyknirps: Die Gefährtin ist ja bekanntlich nicht allzu groß und bietet mithin den prasselnden Tropfen ohnehin keine übermäßige Angriffsfläche. Darüber hinaus sieht sie mit hochgeschlagener, spitz zulaufender Kapuze und weitem Mantel gar nicht unputzig aus. Knirpsig eben. In der allergrößten Not könnte sie ja immer noch bei mir mit unterkriechen. Es sähe vielleicht ein wenig seltsam aus, wenn ich auf einmal vier Beine hätte, aber über so was bin ich erhaben. Mein Herz schlägt eben bei jedem Wetter für die kleinen Leute.
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