HERMANN-JOSEF TENHAGEN HAUSHALTSGELD : Neue Angst und eine Antwort
Direkt nach der Katastrophe in Japan schlagen auch die Finanzmärkte zu – unerbittlich, vielleicht sogar zynisch
Manchmal höre ich Autoradio. An dem Donnerstagmorgen NPR, National Public Radio, eine Art amerikanischer Deutschlandradioverschnitt. Die US-Kollegen von der Westküste berichten, dass Pimco alle US-Staatsanleihen verkauft hat. Pimco steht für den größten Rentenfonds der Welt. Solche Fonds sammeln das Geld konservativer Anleger und investieren es vor allem in sichere Staatsanleihen. Pimcos Management gehört zum Allianz-Konzern.
Also, die Manager des weltweit größten Rentenfonds glauben nicht mehr, dass man mit Anleihen des weltweit größten Schuldners, der US-Regierung, Geld verdienen kann. Reicht an den Finanzmärkten eigentlich für ein unruhiges Wochenende. Der Kommentator ringt sich noch ein ironisches „this is not the most terrible thing in the world“ ab.
Wie recht er hat. Das Schreckliche passiert einen Tag später in Japan. Ein Erdbeben apokalyptischen Ausmaßes mit einer zehn Meter hohen Tsunami-Welle, die zehntausende Menschen das Leben kostet. Und, als ob die Menschen des Inselstaates damit nicht genug geschlagen wären, ein atomares Inferno an ihrer Küste. Nach einigen Tagen kämpfen nur noch 50 übriggebliebene Reaktorarbeiter als Himmelfahrtskommando gegen die ganz große Katastrophe – eine atomare Wolke für den Großraum Tokio. Ihre Atom-Manager sitzen mit eingezogenen Schultern vor der Presse. Die US-Flotte hat diesmal abgedreht. Ihre Helikopter sind verstrahlt.
Eigentlich stammen solche Geschichten von Roland Emmerich und spielen sich nicht in der realen Realität ab. Diesmal aber ist die Geschichte das ganze Wochenende über live am Telefon: Freunde, Kinder, Bekannte. Ein sonst unaufgeregter Kollege, gelernter Wissenschaftsjournalist, schreibt mir, er befürchte, das sei das Ende der japanischen Zivilisation, wie wir sie kennen. Ein anderer hat in seinem Archiv eine Hotelquittung aus Sendai und postet sie bei Facebook wie ein Artefakt einer archäologischen Ausgrabung.
Das Schicksal der Japaner beherrscht das Wochenende. Am ersten Arbeitstag aber sind die Finanzmärkte zurück. Unerbittlich, vielleicht sogar zynisch, und überall. In Tokio verliert die Börse am Montag sechs Prozent, 200 Milliarden Euro, am Dienstag noch mal zehn Prozent, rund 300 Milliarden. In Deutschland fallen die Kurse von Versicherern und Atomkonzernen. Niemand redet mehr von amerikanischen Schulden oder griechischen, irischen und portugiesischen. Solaraktien, die ihren Eigentümern in den vergangenen zwei Jahren nur Tränen in die Augen trieben, gewinnen in zwei Tagen 50 Prozent.
In der Redaktion beraten wir, ob es in dieser Woche zynisch ist, die Fragen der Deutschen nach ihrem Geld zu beantworten. Schließlich erreicht uns die Frage bislang nur vermittelt. Nicht die Leserinnen und Leser rufen an, sondern die Kollegen wollen wissen, was zu Erspartem und Depot zu sagen ist. Die Experten für Geldanlage haben nicht immer eine Antwort. Die überzeugende Idee kommt von der Gesundheitsexpertin. Sie möchte wissen, mit welchem Stromanbieter man wirklich aus der Atomkraft aussteigt. Das sei doch die einzige Antwort, die der deutsche Verbraucher auf die Katastrophe geben könne.
■ Der Autor ist Chefredakteur von Finanztest Foto: Karsten Thielker