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HERAUSFORDERUNG"Ich kann etwas leisten"

Eine Regatta als Rehabilitations-Erfahrung: Warum es hilfreich sein kann, wenn sich ohnehin von Ängsten geplagte Menschen auf ein enges Segelschiff zwängen

"Selber mal die Kommando geben": Martina Wetjen mit Pokal Bild: Foto [A]: Nikolai Wolff
Interview von Henning Bleyl

taz: Acht Tage zu neunt auf einem kleinen Segelschiff, da haben schon Viele einen Bordkoller bekommen. Warum muten Sie sich das zu - wo Sie ohnehin mit psychischen Belastungen zu kämpfen haben?

Martina Wetjen: Da hatte ich vorher auch Bedenken. Der Stress begann dann ja tatsächlich schon mit dem Abflug nach Frankreich. Am Schalter standen auf einmal sieben Schränke von Sicherheitsbeamten vor mir. Mein Sauerstoffgerät sollte in die Sprengstoffprüfung. Ein anderes Problem beim Einchecken waren die Schwimmwesten, weil da Patronen mit Kohlenstoffdioxid drin sind.

Sie haben in Brest in der Bretagne bei einer großen Regatta, der "Voile en tête", mit gemacht. Wievielter sind Sie geworden?

Heiko Sch.: Elfter.

Wetjen: Aber einmal waren wir zweiter in der Tagesplatzierung!

Sch.: Insgesamt haben 19 Boote teilgenommen, wir waren diesmal die einzige ausländische Mannschaft.

Wetjen: Die haben sich richtig über uns gefreut!

Die Aussicht auf Platzangst und andauernde Übelkeit würde ziemlich viele Leute von der Teilnahme abhalten. Wie erging es Ihnen damit?

Wetjen: Es gab auch für mich schwierige Situationen - aber es war trotzdem toll. Der schönste Moment war für mich, als ich am Ruder stand: Zu merken, dass ich in der Lage war, ein 43 Fuß langes Boot zu steuern - dass ich mich das getraut habe!

Sch.: Natürlich ist so eine Regatta eine Grenzerfahrung. Aufregend, aber auch schwierig war für mich vor allem der Start, wenn alle auf engstem Raum kreuzen, um eine gute Ausgangsposition zu bekommen.

Wetjen: Ich hatte Schwierigkeiten, über diese komische Leiter aufs Boot raufzukommen. Das hat mich viel Überwindung gekostet. Aber dann ging es. Mit neun Personen auf engem Raum zu leben, ohne Rückzugsmöglichkeit, das war dann tatsächlich das Schwierigste für mich. Ich habe zum Teil mit Asthma reagiert. Aber unter Deck hatte ich ja meine Sauerstoffflasche.

Sch.: Es ist wirklich nicht leicht, mit ganz vielen Charakteren, die man zum Teil nicht kennt, auf engem Raum zusammen zu sein. Und dann auch noch im Rahmen einer Regatta, bei der man Leistung bringen muss.

Wenn die Hürden zu hoch liegen, kann eine Herausforderung auch nach hinten losgehen. Waren es zu viele Stressfaktoren?

Sch.: Es gab Spannungen, aber letztlich hat es geklappt. Dabei hat sich auch das Verhältnis zu den Betreuern geändert. Natürlich steht man nicht auf einer Ebene. Aber wenn man selber mal die Kommandos geben kann, ist das ein gutes Gefühl.

Wetjen: Auf Filmaufnahmen habe ich gesehen, wie es mir richtig Spaß macht, am Ruder zu stehen.

Erstaunt es Sie, sich so zu sehen?

Wetjen: Ja. Ich habe eine posttraumatische Belastungsstörung. Verbunden mit einer Depression und Angstzuständen. Und schweres Asthma.

Worin besteht Ihre psychische Krankheit, Herr Sch.?

Sch.: Alkohol- und Tablettensucht, eine bipolare Störung. Natürlich kommt man bei einer Herausforderung wie der Regatta an seine Grenzen. In so einer Situation muss man sich mit seinen Schwächen auseinandersetzen, man kann eben nicht alles. Andererseits merke ich, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten auch Leistung bringen kann!

Wetjen: Als wegen mir der Arzt kommen musste, dachte ich: Wär ich nur zu Hause geblieben. Einmal musste ich sogar über Nacht ins Krankenhaus. Aber dann war es toll, wie sich die anderen um mich gekümmert und gesorgt haben, auch die französischen Teilnehmer. Die kennen einen gar nicht und fragen trotzdem. Es ist schön, zu hören: Du gehörst dazu!

Sch.: Die schwierigste Aufgabe bleibt, sich gegenseitig zu akzeptieren. Meistens waren die anderen sehr verständnisvoll, wenn jemand etwas nicht kann. Es ist ein tolles Gefühl, dass man trotzdem Teil der Mannschaft bleibt - auch wenn man selber das Gefühl gerade nicht hat.

Was waren für Sie besonders kritische Momente?

Sch.: Einmal ist die Kette der Steueranlage gerissen. Das ist schon Stress, besonders, wenn man in eine Bucht einläuft um zu ankern und die Boote dicht beieinander segeln! Ein anderes Mal bin ich fast über Bord gegangen, weil ich die Warnung nicht gehört hatte, dass der Mastbaum umschlägt.

Etwas frustriert war ich bei der täglichen Platzierung: Plötzlich wurden wir um fünf bis sechs Plätze tiefer gestuft, als es dem Zieleinlauf entsprach. Zum Beispiel von Platz drei beim Zieleinlauf auf Platzierungsplatz acht. Das hatte auch zur Folge, dass wir am Ende auf Platz elf landeten. Der Hintergrund war, dass wir mit 13 Metern das längste Boot hatten, das wurde deswegen anders gewertet. Aber zunächst war das kein transparentes Verfahren für mich. Man lernt bei einer Regatta also auch, mit Frustrationen umzugehen.

Sie werden von der "Initiative zur sozialen Rehabilitation psychischer Kranker" betreut, die bei der Auflösung der Langzeitpsychiatrie Kloster Blankenburg entstand. Haben Sie auch außerhalb der Regatten Gelegenheit zum Segeln?

Sch.: Ja, es gibt eine Segelgruppe mit Andreas Hillejan und Bernd Knies, der immer als Skipper auf die Regatten mitfährt. Normalerweise trainieren wir im Hemelinger Hafen. Aber da haben wir wesentlich kleinere Boote als bei der Regatta - das ist natürlich ein Nachteil im Wettkampf. Wir würden gerne regelmäßig mit größeren Booten auf anderen Gewässern trainieren, aber dafür haben wir leider keine Möglichkeit.

Wie ist das Gefühl nach der Regatta?

Sch.: Man fällt erstmal in ein großes Loch - das ist sozusagen der andere Effekt. Dann fehlt einem die Freiheit auf dem Wasser und die Gemeinsamkeit an Bord.

Wetjen: Es macht den Kopf so schön frei, wenn man im Wind sitzt.

Sch.: Es macht den Kopf frei, und man fühlt sich gestärkt. Es ist ein tolles Gefühl, so ein Boot zu beherrschen. Und es ist eine tolle Erfahrung, dass alle reagieren, wenn ich am Ruder die Kommandos gebe. Wenn ich das so erzähle, spüre ich schon wieder mein Regattafieber.

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