HAUPTSTADT GANZ NACKT: Urbaner Bauspargleiter
■ Montagsexperten kommen zu Wort
Haben auch Sie schon von Berlins »jüngstem Metropolensender« »Radio 2000« gehört? Nun ist ja die Zukunft versprechende Beifügung »2000« ein hinlänglich bekannter Trick aus der Werbebranche, um noch aus einer einfachen Rasierklinge einen interstellaren Rasierschaumgleiter zu machen (»Gillette 2000«) oder um aus einem gewöhnlichen Autoreifen das definitive Glücksgefühl am Lenkrad herauszuleiern (»Fulda y 2000 plus«). Denken wir weiterhin an den Großraumstaubsauger »arlett 2000« oder an den zu »super 2000« aufgepeppten Edeka-Markt. Alles Werke von prahlsüchtigen Windbeuteln. Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere auch noch an den prächtig aufgemachten Umweltreport »Global 2000«, den nie jemand gelesen hat — erschienen bei »2001«.
Außerhalb der Welt der Staubsauger und Rasierklingen, mitten auf dem Tummelplatz gesellschaftlicher Errungenschaften, wird der 2000er-Trick benötigt, um wahlweise gähnende Leere oder das absolute Nichts zu vertuschen. Kurz bevor »Radio 2000« an die Öffentlichkeit trat, hatte »Olympia 2000« seine aufgeblasene Konzeptionslosigkeit vorgestellt, während der ehemalige Bundesbildungsminister Möllemann sein zielloses Gewurschtel auf dem Akademikermarkt als »Berufswelt 2000« verkaufte. Jüngster 2000-Fall: der deutsche Beitrag zum Grand Prix d'Eurovision, »Atlantis 2000«. Mit ihrem Hohldudler »Dieser Traum wird niemals sterben« setzte die Ralph-Siegel-Truppe neue Tiefstwerte im deutschen Schlager. Einer der denkwürdigsten 2000-Fälle wird aber wohl für immer »Damp 2000« bleiben. Anfang der Siebziger wollte man im holsteinischen Ostseedorf Damp auf Zukunftstourismus machen und baute mit allem Drum und Dran und Dazu »Damp 2000«: zwölfstöckige Hochhäuser, Trimmpfade, Swimmingpools, Parkplätze und Ampelanlagen. »Damp 2000« braucht auch heute noch nicht den Vergleich mit Gropiusstadt und Marzahn zu scheuen. Schön auch der »BHW Dispo 2000« — ein normaler Bausparvertrag des Beamtenheimstättenwerks wird durch den 2000-Zusatz zum Persönlichkeitsentfaltungsprojekt für verschnarchte Biedermänner: »Mit BHW Dispo 2000 können Sie bei Ihren Wünschen auch mal aus der Reihe tanzen.«
Was will also dieses »Radio 2000« Neues bieten? Ja, ist es nicht nur ein Epigone der Münchener Fröhlichkeitswelle »Radio Gong 2000«, die ununterbrochenen jugendlichen Italo-Pop wegsendet? »Radio 2000« will, wie man hört und liest, mit einer »neuen, urbanen Musikfarbe« Berlin beglücken. Thomas Thimme, die an Diepgenscher Schnittigkeit geschulte Verlautbarungsstimme von »Radio 2000«, hat auch schon verraten, was das heißt: eine Musik »zwischen Rias 2 und DT 64«. Auf der Frequenzskala landet man dann ungefähr bei 98,4 MHz, also fast bei Radio 4 U, das ja ebenfalls ziemlich urbane Musik sendet, wie z.B. auch Rias 2 und DT 64.
Als schlußendliches Fazit der 2000-Revue im Hinblick auf das neue urbane Radiogefühl bleibt nur die Erwähnung eines japanischen U-Boot-Science-fiction- Horrorfilms: »U 2000 — Tauchfahrt des Grauens«.
PS: Bei näherer Betrachtung erscheint »Radio 2000« als eine Reminiszenz an die schlechtesten Tendenzen der Siebziger. Übertragen auf die Neunziger lautete der wahre Name des Senders auf 103,4 MHz natürlich »Radio Light«. Enno Bohlmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen