HARTZ IV: WER NICHT FÖRDERT, DARF AUCH NICHT FORDERN : Verräterischer Sprachgebrauch
Bei offiziell mehr als fünf Millionen Arbeitslosen ist Fantasie gefragt. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, schlug jetzt eine Sondermaßnahme für Arbeitslose im Osten vor: Wer dort älter als 55 Jahre ist und keine „gefragte Qualifikation“ besitze, der solle nicht weiter von der Bundesagentur betreut werden. Die Betroffenen müssten sich nicht mehr bei den Fallmanagern melden. Stattdessen würden sie die staatliche Unterstützung frei Haus beziehen und könnten zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden. Besonderer Charme der Idee: Weitere Arbeitslose würden aus der Statistik verschwinden.
Dieser Vorschlag ist ein Paradigmenwechsel bei den Hartz-Reformen: Erstmals wird indirekt eingestanden, dass die Losung „Fordern und Fördern“ nicht mehr als ein Werbeslogan war, um die Leistungskürzungen zu verbrämen. Denn die Gesellschaft hat den Langzeitarbeitslosen nichts anzubieten. Selbst die 1-Euro-Jobs sind so knapp, dass sie vorrangig an Jugendliche vergeben werden, um wenigstens sie übergangsweise zu „fördern“.
Zur Demontage der Hartz-Euphorie gehört, dass nun wieder die klassischen Arbeitsmarktinstrumente populär werden. Denn so neu ist die Idee von Agenturchef Weise gar nicht. Auch bisher schon durften Arbeitslose über 58 bei vollem Leistungsbezug auf Vermittlung verzichten. Im Januar konnten fast genau 400.000 Arbeitslose in Ost und West derart aus der Statistik herausgehalten werden. Ursprünglich sollte diese Kosmetik ab 2006 enden, stattdessen dürfte sie sich demnächst auch auf jüngere Jahrgänge erstrecken – sofern die Arbeitslosen als „chancenlos“ eingestuft werden.
Diese Sprache ist verräterisch. Noch immer wird es vor allem den Arbeitslosen angelastet, dass sie keinen Job finden. Ihnen fehle eben die „gefragte Qualifikation“. Dahinter wabert die Illusion, dass Vollbeschäftigung möglich wäre, wenn nur alle Bürger Abitur hätten und sich nicht darauf versteifen würden, im Osten zu wohnen. Noch immer ist nicht wirklich durchgedrungen, dass in Deutschland real ewa sieben Millionen Stellen fehlen, damit jeder Interessent einen Job findet.
Dafür gibt es keine Lösung. Ob Ich-AG, Minijob, öffentliche Beschäftigung oder statistische Bereinigungen – Millionen von Menschen haben keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt. Das ist nicht ihre Schuld, sondern strukturell bedingt, weil die Produktivität schneller wächst als die Wirtschaft. Vielleicht hat die neue Hartz-Ratlosigkeit aber doch noch ihr Gutes. Nachdem das „Fördern“ einfach nicht klappen will, verliert auch das „Fordern“ seine ideologische Legitimation. Die Leistungskürzungen wirken jetzt genauso ungerecht, wie sie es schon immer waren. ULRIKE HERRMANN