HARALD FRICKE über MÄRKTE : Wozu soll man noch schwarzfahren?
Immer mehr Menschen verschenken oder verkaufen ihren U-Bahn-Schein weiter. Und das ist erst der Anfang
Gestern ist wieder jemand vor mir am Automaten gewesen. Hat seinen Fahrschein im Ausgabeschlitz deponiert, damit ich Geld spare. Ein netter Zug, der mir leider erst auffiel, nachdem ich bereits mein U-Bahn-Ticket gelöst hatte. Kann man nichts machen, freut sich eben der Nächste – wozu schwarzfahren, wenn man es auch umsonst haben kann?
Oder für einen Euro. Denn die Preise für die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin sind erheblich gesunken, seit sich so eine Art informelle U-Bahn-Ökononomie gebildet hat. Leute kommen und fragen, ob man seinen Schein noch braucht, wenn man die Fahrt beendet hat. Schließlich sind die 2,20 Euro teuren Langstreckentickets für zwei Stunden gültig, auch wenn sie meist nur eine halbe Stunde genutzt werden.
Die verbliebene Restzeit lässt sich prima weiterverticken. Das wissen nicht nur die Punks, die sich mit dem Zwischenhandel ihre Getränkekasse aufbessern. Mittlerweile hat selbst der bürgerliche Durchschnittskreuzberger die Gunst der Stunde erkannt und fährt second hand.
So kommen sich im Fahrwasser des Preisdumpings die unterschiedlichen Milieus entgegen, das lässt noch auf einige Cross-Service-Aktivitäten hoffen. Gut wären zum Beispiel Ersatzaussitzer, die gegen ein kleines Salär an meiner statt die Wartezeit bei Behörden auf sich nehmen würden. Während ich diesen Text hier schreibe, könnte ein anderer für mich etwa auf dem Meldeamt anstehen, beim Zahnarzt oder in der Schlange am Paketschalter, gleich hinter ©TOMs Einemarkmarken-Oma.
Vielleicht gehen wir demnächst sogar gemeinsam unter die Dusche. Der Punk, der Bürger, ©TOMs Oma und ich. Weil Berlin durch die kollektive Nutzung von U-Bahn-Tickets offenbar einiges an Geld eingebüßt hat, versucht die Stadt nun, die Verluste aus dem BVG-Geschäft über die letzten verbliebenen Schwimmbäder wieder hereinzuholen. Dort wird für den Winter 2004 die Einführung einer Chipkarte geplant, „wie beim Skilift“, so stellt sich der Chef der Bäderbetriebe das neue System vor. Mit Barcode außen an der Badehose vermutlich, und den dazugehörigen Chip trägt man lässig hinten auf der linken Pobacke.
Momentan soll die Bezahlung noch strikt nach Nutzungszeit berechnet werden, aber auf Dauer könnten sich am Beckenrand viel weitreichendere – wie man heute sagt: „leistungsbezogene“ – Verdienstmöglichkeiten auftun. Ein Fun-Zuschlag für Arschbomben zum Beispiel; oder Köpper ins Nichtschwimmerbecken als Extrem-Diving – den Thrill für Lebensmüde gibt es ebenfalls gegen Aufpreis.
Ganz sicher lässt sich bei den Duschkabinen verdienen, je nach Dauer und Temperatur. Wer unbedingt eine Viertelstunde bei 38 Grad duschen will, muss natürlich mehr zahlen als für einen Quickie um die zehn Grad. Anfassen kostet extra, Abtrocknen wie bei Muttern auch. Da Berlin nachgewiesenermaßen die Stadt mit der höchsten Warmduscherdichte ist, können die städtischen Bäder also auf satte Gewinne ab 2004 hoffen.
Doch der Berliner ist bei all seiner Warmduschsucht auch ein mit extremer Schläue beschlagenes Wesen. Schon bilden sich erste Duschgruppen, die zu Hause für den Ernstfall üben. In einer Neuköllner Nasszelle wurden sechs Leute unter einem Wasserstrahl gesichtet, in den östlichen Bezirken finden bereits Duschpartys statt, auf denen bekannte DJs zwischen illegal installierten Duschhähnen Platten auflegen, als Nächstes soll von DJ Aqua der Blub-Remix des alten Deutschduschklassikers „Die Wanne ist voll“ von Didi Hallervorden und Helga Feddersen erscheinen. Da ist der Berliner in seinem Element, ganz „Aqua botulus“, wie das bei Thomas Kapielski heißt.
Allerdings habe ich noch eine bessere Idee. Warum sich nicht das gebrauchte Wasser einpacken lassen, wenn man schon dafür bezahlt hat? Noch habe ich zwar keine Punks mit vollen Eimern vor dem Schwimmbad herumlungern sehen. Aber das Geschäft wird sich schon entwickeln mit der Zeit.
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