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Archiv-Artikel

HAMBURGER SZENE VON VERONIKA WAWATSCHEK Blind im Museum

Im Bucerius Kunst Forum steht eine Dame in weißer Leinenkleidung. Ob ich ihr die sieben Todsünden auf dem Bild vorlesen könne, fragt sie. Sie sehe so schlecht. Kein Problem. Diese sieben Todsünden seien ja an allem schuld, beginnt sie. Damals in der Kommune, da hätten sie das fast überwunden gehabt. Ich horche auf. Sie hätten alles geteilt, auch die Kleidung, die Partner. Kein Neid, keine Eifersucht, sondern freie Liebe. Ja und ihre Kinder, die hätten sich nie geschlagen, alles mit Worten gelöst.

„Wo war denn diese Kommune?“ frage ich. „Mhm, in Österreich“, antwortet sie und schaut weg. Wenn die Kinder sich reif gefühlt hätten, hätten sie am sexuellen Leben der Erwachsenen teilhaben können. Aber die Gesellschaft hätte damit nicht so gut umgehen können. Ein Fragezeichen steht mir ins Gesicht geschrieben. Es habe einen Prozess gegeben, erklärt sie. Sie sei danach mit ihren Kindern und wenigen anderen nach Portugal gegangen. Sie lächelt schief.

Zu Hause google ich „Kinder Sexualität Österreich Kommune“. Voilà: Otto Muehls AAO, die „Aktionsanalytische Organisation“. Weiter lese ich: In den 70ern zieht der Künstler mit seiner Kommune ins Burgenland. Dort geht es los mit dem Analysieren, die sehr praktische Watschenanalyse oben drauf. Einige Jahre später folgt die Verurteilung wegen Beischlafs mit Minderjährigen. Danach geht es nach Portugal.

Die Dame war wohl richtig nah dran. Aufgeregt erzähle ich meinem Mitbewohner davon. „Dass die Frau immer noch nicht zweifelt“, wundert er sich. „Wie verblendet sie sein muss.“ Wie Schuppen fällt es mir von den Augen: Sie war fast blind.