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Archiv-Artikel

HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER Spuren im Abteil

Am Stephansplatz ist das hintere Drittel des Abteils noch leer. Es ist nicht frisch, es wurde hier schon gelebt, es gibt Hinterbliebenes: ein Schuh mit Wunderprofil wird die Kieselsteine auf dem Boden zwischen seinen Furchen ins Abteil getragen haben; jemand mit Liebeskummer hat vielleicht die kleinen Schnipselchen Papier auf die Sitzbank mir gegenüber gestreut, „den Zettel brauche ich nicht mehr“. Und weshalb mein Hund die Sitzbank schräg gegenüber so inbrünstig zu lecken versucht, will ich mir gar nicht erst vorstellen.

Ich kauere auf dem äußersten Sitzrand gegenüber den Schnipseln und fühle mich unfähig, das Abteil mit handfesten Spuren meines Lebens zu markieren. Am Hauptbahnhof steigen zwei türkische Mädchen ein und setzen sich auf die letzte Sitzreihe. Die Sitzreihe, über die in lauten Unterhaltungen weiblicher Büroangestellter verallgemeinert wird, es seien die Sitze, wo die Junkies am liebsten sitzen. Ich sitze nie auf der hintersten Sitzreihe. Die Mädchen tragen bei Lohmühlenstraße roten Lippenstift auf und schmatzen. Dann kramt die eine in ihrer kleinen Handtasche und holt eine große Dose Haarspray heraus. Unser Abteileckchen riecht wie beim Friseur.

In Wartenau setzt sich ein junger Mann mit Sporttasche direkt auf die Schnipsel mir gegenüber. In Wandsbeker Chaussee ist alles wieder leer. Bis in Wandsbek Markt eine Frau mit Aboriginesdesign auf der Stofftasche und zwei Männer mit Pudelmützen das Abteil wieder zu ihrem Wohnzimmer machen.